Die Wanderhure
Gero?«
»Hier sind Männer, die behaupten, du wärst keine reine Jungfrau mehr, sondern hättest dich dem Teufel der Wollust hingegeben.«
Seine Stimme hallte durch das Haus, und sein Blick saugte sich an Maries Gestalt fest, deren Formen sich deutlich unter dem dünnen Nachthemd abzeichneten.
Marie verschränkte die Arme über der Brust, denn sie schämtesich, kaum bekleidet vor fremden Männern zu stehen. »Ich verstehe Euch nicht. Was soll ich getan haben?«
Magister Ruppertus schob den Leinweber beiseite und streifte Marie mit einem angewiderten Blick. »Hier sind Zeugen, ehrenwerte Männer, die bei Gott und allen Heiligen schwören, mit dir Hurerei getrieben zu haben.«
»Bei der Heiligen Jungfrau, das ist nicht wahr!« Marie sah ihren Vater Hilfe suchend an und streckte die Arme nach ihm aus, doch Meister Matthis beachtete sie noch nicht einmal. Keuchend lehnte er an der Wand und starrte zu Boden, als schäme er sich für seine Tochter.
»Vater, warum wendest du dich von mir ab? Glaubst du wirklich, ich hätte so etwas Schreckliches getan?« Marie wollte auf ihn zulaufen, doch der Magister vertrat ihr den Weg und stieß sie in die andere Ecke des Flurs. Dann zeigte er auf ihre Kammer. »Gleich werden wir den Beweis haben. Meister Jörg, Meister Gero, ihr seid weder Zeugen noch Beschuldigte. Deswegen bitte ich euch, den Raum zu durchsuchen.«
Marie war so geschockt, dass sie sich nicht zu rühren wagte, als die beiden Handwerksmeister den Raum betraten und ihr Bett, die Borde und ihre Truhe absuchten. Da die beiden Männer betrunken waren, warfen sie Kleidung und Aussteuer rücksichtslos zu Boden und trampelten darauf herum.
Plötzlich stieß Meister Jörg einen triumphierenden Ruf aus und hob die Hand. Ein weißer Perlmuttschmetterling glänzte zwischen seinen Fingern. »Da ist das Schmuckstück, von dem du gesprochen hast, Utz Käffli! Du hast die Wahrheit gesagt.«
Marie stolperte nach vorne und starrte den Schmetterling an. »Aber das Ding gehört mir nicht. Ich habe es noch nie gesehen.«
Ruppert riss sie zurück. »Leugnen hilft dir jetzt nichts mehr, du schmutzige Dirne. Du hast dieses Schmuckstück von Utz Käffli für die Gewährung deiner Gunst erhalten.«
»Ich soll eine Liebschaft mit dem Mann da gehabt haben? Aber das ist nicht wahr!« Marie sah dem Fuhrmann in die Augen.
»Warum verleumdest du mich?«
»Warum sollte ich dich verleumden? Ich war doch nicht der Einzige, den du über dich gelassen hast.« Der Fuhrmann leckte sich dabei die Lippen, als schwelge er noch in der Erinnerung an ihr Beisammensein.
Marie wich angeekelt vor ihm zurück. »Wie kannst du so etwas Schmutziges behaupten?«
Meister Gero stieß Linhard nach vorne, der sich bislang außerhalb des Lichtkegels in eine Ecke gedrückt hatte. »Hier, der Schreiber deines Vaters hat ebenfalls gestanden, mit dir Unzucht getrieben zu haben.«
Marie schlug die Hände vors Gesicht und versuchte, ihre Tränen zurückzuhalten. »Aber das ist doch alles nicht wahr! Bei Jesus Christus und allen Heiligen, ich bin noch Jungfrau.«
»Leugnen nützt dir nichts mehr, Hure! Du hast meine Ehre beschmutzt, und ich bestehe auf einem Prozess, um die Schwere deiner Schuld zu ergründen.« Der Magister drehte Marie den Rücken zu, als könne er ihren Anblick nicht mehr ertragen, und deutete mit dem Zeigefinger auf Meister Matthis.
»Nach den Gesetzen der heiligen Kirche und des Kaisers ist es einem der Hurerei angeklagten Weib nicht gestattet, unter dem Dach eines ehrbaren Hauses zu verweilen. Daher wird Eure Tochter den Rest der Nacht im Kerker verbringen müssen. Meister Gero, seid so gut und ruft den Vogt und seine Büttel herbei, damit sie die Metze abführen.«
Die harten Worte des Magisters durchdrangen die Leere, die sich in Meister Matthis’ Kopf breit gemacht hatte, und er heulte auf wie ein verwundetes Tier. »Nein! Nein! Das ist mein Haus! Ich lasse nicht zu, dass meine Tochter daraus verschleppt wird.« Ein noch funktionierender Teil seines Verstandes sagte ihm, dass es wohl das Beste war, wenn er Konstanz nach diesem Abend soschnell wie möglich verließ, um seine Tochter aus Rupperts Nähe zu bringen. Als hätte der Magister seine Gedanken gelesen, stieß sein Zeigefinger wie ein Messer auf ihn zu.
»Wollt Ihr Euch gegen das Gesetz des Kaisers stellen?« Obwohl Rupperts Stimme nicht lauter wurde, zuckten die Umstehenden wie unter einem Peitschenhieb zusammen.
Mombert Flühi versuchte zu vermitteln. »Mäßigt Euren Zorn,
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