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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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tief Luft. Der Fremde war Giso gewesen, dessen war sie sich sicher. Auch Anselms Tod war kein Zufall. Am liebsten hätte sie Jörg Wölfling gefragt, ob Utz bei jenen Fuhrleuten gewesen sei, die Anselm betrunken gemacht hatten, doch das hätte unnötige Fragen nach sich gezogen. Utz war bestimmt nicht direkt in Erscheinung getreten, sondern hatte ein paar Freunde dazu angestachelt, den alten Mann abzufüllen.
    Nach der Witwe Euphemia war jetzt auch der Schafscherer eines gewaltsamen Todes gestorben. Dabei hatte Anselm nur erzählt, er habe ihren toten Vater gesehen. Obwohl sich die meisten Leute in Konstanz nicht für das Geschwätz eines Säufers interessierten, hatten Ruppert und seine Handlanger ihn zum Schweigen gebracht.
    Marie schüttelte sich und trocknete ein paar gegen ihren Willen hervorquellende Tränen. »Mein Vater hätte Ruppert seinen Besitz nicht freiwillig überlassen. Daher nehme ich an, dass er tot ist.«
    Jörg Wölfling legte ihr die Hand auf die Schulter. »Meister Matthis hat dich sehr geliebt, Marie, und er hätte dich niemals im Stich gelassen. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich damals neidisch auf deinen Vater und den Reichtum war, den er als Enkel eines unfreien Knechts angesammelt hatte, während meine Familie um ihre Existenz ringen musste, obwohl sie eine führende Rolle im letzten Bürgerkampf gegen die hohen Geschlechter gespielt hatte. Deswegen habe ich damals keine Hand für euch gerührt, als das Unglück über euch hereinbrach, bin dafür aber hart bestraft worden.
    Der Ruhm meiner Vorfahren hatte mir einen Sitz im Rat der Stadt eingebracht, und den habe ich deinetwegen für alle Zeit verloren. Die anderen Ratsherren haben es mir zum Vorwurf gemacht, dass Magister Ruppertus dich ungehindert vor das Gericht der Dominikaner hatte schleppen können. Als Tochter eines angesehenen Bürgers hätte nämlich zuerst das städtische Gericht über dich befinden müssen. Nur wenn deine Schuld dort festgestellt worden wäre, hätte man dich den kirchlichen Richtern zur Festlegung der Strafe überlassen dürfen. Doch es ging alles so schnell. Ehe ich einen klaren Gedanken fassen konnte, warst du bereits aus der Stadt vertrieben, dein Vater verschwunden und Ruppert im Besitz eures Hauses.«
    Marie entnahm dem bitteren Klang seiner Worte, dass Jörg Wölfling weniger ihr Unglück nahe ging als der Verlust des Ratssitzes, der mit allerlei Privilegien verbunden war. Sie war rachsüchtig genug, um ihm diesen Sturz aus den Reihen der Bevorrechtigten zu gönnen, denn sie hatte nicht vergessen, wie er und Meister Gero ihr Zimmer durchsucht und beim Auffinden des belastenden Schmuckstücks aufgejubelt hatten.
    Sie ließ sich jedoch nichts anmerken, sondern fragte Meister Jörg weiter aus. So erfuhr sie einiges, was sich seit ihrer Vertreibung aus Konstanz ereignet hatte. Von der Geburt und dem baldigen Tod ihres Vetters hatte ihr Giso bereits erzählt. Meister Jörg berichtete ihr, dass man Momberts kleinen Sohn noch rechtzeitig getauft hatte, um ihn in geweihter Erde bestatten zu können.
    »Mittlerweile haben Mombert und sein Weib ihren Kummer überwunden. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass ihnen noch einmal ein Sohn geboren wird, doch trösten sie sich mit ihrer Hedwig, die im Übrigen ein sehr hübsches Mädchen geworden ist. Sie ähnelt dir, Marie, wie eine jüngere Schwester. Obwohl ich sagen muss, dass du in den letzten vier Jahren noch schöner geworden bist. Hätte ich genügend Geld, würde ich dir ein Häuschen weiter rheinabwärts kaufen und dich als meine Geliebte halten.«
    Meister Jörg dachte an sein schwerfällig gewordenes Weib, das ihn im Bett kaum mehr reizte, und an Elsa, die Magd, die früher einmal bei Matthis Schärer im Dienst gewesen war und nun bei ihm ihr Auskommen gefunden hatte. Sie wärmte ihm gelegentlich sein Bett und hielt sich dafür an den Vorräten schadlos. Inzwischen war sie so dick geworden, dass sie kaum noch durch die Türen passte. Er schüttelte seufzend den Kopf und überlegte, was er Marie noch erzählen konnte.
    »Übrigens, kannst du dich an Michel, den Sohn von Guntram Adler, erinnern, der eine Schenke in der Katzgasse besessen hat? Der Junge muss sehr in dich verliebt gewesen sein, denn er hat damals noch am gleichen Tag die Stadt verlassen, um dir zu folgen. Burkhard und Hannes, die beiden Büttel, haben sich einen Spaß daraus gemacht, ihm den falschen Weg zu weisen. Als sein Vater nach ihm suchen ließ, verlor sich seine Spur bei

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