Die Wanderhure
mir immer noch selbst aus. Und sie bezahlen mich und keine andere, verstanden? Wenn der Mann eine Hure stoßen will, soll er doch dich oder Märthe nehmen. Mir kommt er jedenfalls nicht ins Zelt.«
Der Mann verfolgte das Streitgespräch mit sichtlichem Unmut. »Was soll das? Ich will weder die Alte noch den Trampel.Man hat mir eine hübsche Hure versprochen, und ich habe dafür gezahlt. Also komm jetzt, Mädchen. Ich habe nicht ewig Zeit.«
Er packte Marie am Arm und wollte sie ins Zelt zerren. Marie versuchte, sich loszureißen, doch gegen den schmerzhaften Griff kam sie nicht an. Rasend vor Wut griff sie mit der freien Hand durch den kleinen Seitenschlitz unter ihren Rock, zog das scharf geschliffene Messer heraus, das sie in einer Scheide am Oberschenkel trug, und setzte die Spitze an den Unterleib des Mannes.
»Nimm deine Pfoten von mir, wenn du noch einmal eine Frau stoßen willst!«, fuhr sie ihn an.
Der Mann sah das Messer, das sich bereits durch den Stoff seines Hosenlatzes bohrte und seine empfindlichsten Teile bedrohte, und ließ Marie so schnell los, als hätte er eine glühende Eisenstange angefasst. Er trat einen Schritt zurück, riss den Mund auf, als wolle er seinem Ärger lauthals Luft machen, und starrte Marie dann mit weit aufgerissenen Augen an. Sein Mund schloss sich wieder, und er schlug das Kreuzzeichen.
»Bei der Heiligen Jungfrau und St. Pelagius. Das kann doch nicht wahr sein. Bist du es wirklich?«
Marie blickte den Mann, der sichtlich blass geworden war, verständnislos an. Dann aber dämmerte es ihr. »Du … du bist Jörg Wölfling, der Böttcher aus Konstanz.«
»Und du bist Matthis Schärers Tochter Marie, die man aus Konstanz vertrieben hat.«
»Nachdem man mich vorher vergewaltigt, verleumdet und ausgepeitscht hat«, ergänzte Marie bitter.
Das war der Augenblick, den sie am meisten gefürchtet hatte. Am liebsten wäre sie im Boden versunken, so schämte sie sich, von dem einstigen Freund ihres Vaters als Hure angetroffen zu werden. Doch sie schüttelte ihre Beklemmung schnell ab. Schließlich war sie nicht durch eigene Schuld auf diesen Weg gekommen,sondern durch Rupperts Intrigen, und Meister Jörg hatte damals keinen Finger gerührt, um ihr beizustehen.
Der Böttcher deutete auf das Messer, das Marie immer noch drohend vor sich hielt. »Steck das Ding weg und lass uns wie vernünftige Leute miteinander reden.«
Marie nickte und ließ die kleine Waffe wieder in ihre Scheide gleiten.
Er hob abwehrend die Hand. »Starr mich doch nicht so böse an. Ich fresse dich doch nicht. Erzähle mir lieber, wie es dir ergangen ist. Wir haben in den letzten vier Jahren oft an dich gedacht.«
Wölfling schniefte wie ein kleines Kind und fuhr sich mit dem Handrücken über die Nase. Marie wusste nicht, was sie sagen sollte. Am liebsten wäre sie davongelaufen. Gleichzeitig lagen ihr tausend Fragen auf der Zunge, die ihr Ritter Dietmars Dienstmann Giso nicht hatte beantworten können.
Jörg Wölfling trocknete die Tränen, die ihm über die Wange liefen, mit dem Ärmel. »Mein Gott, Marie, dass du lebst! Wie wird sich Mombert freuen, wenn er das erfährt.«
Marie versteifte sich und schüttelte heftig den Kopf. »Ich will nicht, dass irgendjemand von mir erfährt. Niemand braucht zu wissen, das ich noch existiere, verstehst du?«
Meister Jörg nahm eines der Hurenbänder an ihrem Rock in die Hand und nickte betroffen. »Ich verstehe dich schon, aber dein Oheim würde sich trotzdem freuen, von dir zu hören.«
»Es ist besser, du behältst unsere Begegnung für dich. Wenn du mir jedoch erzählen könntest, wie es meinen Verwandten geht, wäre ich dir dankbar.«
»Das tue ich gerne.« Meister Jörg dachte einen Augenblick nach und fasste Marie vorsichtig am Ärmel. »Komm, wir setzen uns dort bei der Weinschenke in den Schatten. Bei einem Krug Roten erzählt es sich leichter.«
»Ich glaube nicht, dass der Schenk eine Hure auf seinen Bänken sehen möchte.«
Meister Jörg winkte im Bewusstsein seiner Wichtigkeit verächtlich ab und führte Marie auf die Schenke zu, die unweit der Schafskoppeln errichtet worden war. Man hatte verschieden große Fässer dort aufgebockt und ein großes Schaff Wasser daneben gestellt, in dem die Krüge gespült wurden.
Als Meister Jörg mit Marie bei ihm erschien, runzelte der Schenk die Stirn und murmelte, dass er sich mit seiner Hure woandershin scheren solle.
Jörg Wölfling öffnete seinen Geldbeutel und zählte mehrere Münzen heraus. »Einen
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