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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Gerlind und ihre Gefährtinnen trugen diesmal leichter an ihrem Gepäck, da Hiltrud ihnen nach einer weiteren heftigen Diskussion erlaubt hatte, einen Teil ihrer Habe auf ihren Wagen zu laden. Die Ziegen mussten sich stärker ins Zeug legen, selbst die Zicklein, die nun ebenfalls ein Geschirr trugen, zogen eifrig mit. Wenn der Weg jedoch bergauf führte, schafften die Tiere die schwere Last nicht mehr, und Hiltrud musste sich mitvor den Wagen spannen, während Marie ihn von hinten schob. Bei der dritten Steigung machte Marie den Vorschlag, Berta oder Märthe einzuspannen.
    Hiltrud lehnte mit einer verächtlichen Handbewegung ab. »Die würden höchstens die arme Fita zwingen, uns zu helfen, und die bricht uns nach drei Schritten zusammen wie ein klappriger Gaul.«
    Marie stieß die Luft aus, so dass es wie ein Fauchen klang. »Vor vier Jahren hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ich den Tag herbeisehnen würde, an dem wir uns von Gerlind trennen können.«
    Sie dachte daran, wie freundlich Gerlind sie damals aufgenommen und ihr beinahe liebevoll über die erste schwere Zeit geholfen hatte. Lange Zeit war sie ihr dafür dankbar gewesen, aber die böse alte Frau, die in einem schmierigen Kleid vor ihnen herhinkte, war nicht mehr die Gerlind, die Marie damals kennen und schätzen gelernt hatte. Trotzdem hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie der alten Hure gegenüber keine Dankbarkeit mehr empfinden konnte. Sie kämpfte gegen dieses Gefühl an und versuchte es schließlich mit einer heftigen Bewegung abzuschütteln.
    »Was hast du?«, fragte Hiltrud besorgt.
    »Ich habe nur über mich und Gerlind nachgedacht. Sag mal, wer hat sich mehr verändert, sie oder ich?«
    Hiltrud lachte auf. »Das liegt doch auf der Hand. Ihr habt euch beide verändert, du zum Besseren und sie zum Schlechteren. Ich muss sagen, ich hoffe, sie bald zum letzten Mal gesehen zu haben. Allein ihr Anblick ist mir mittlerweile zuwider.«
    Marie nickte stumm und stemmte sich wieder gegen den Wagen. Die nächsten Tage verliefen beinahe ereignislos, waren aber dennoch nicht dazu angetan, Maries und Hiltruds Zorn zu besänftigen. Der galt weniger Gerlind als Berta, die alles tat, um ihnen das Leben schwer zu machen. Am ersten Abend bestand sie darauf,dass Marie und Hiltrud nicht an ihrem Lagerfeuer sitzen durften, sondern ihre Zelte abseits von ihnen aufschlagen mussten. Dennoch verlangte sie von ihnen, die Hälfte der Nacht Wache zu halten, und bediente sich überdies noch an dem Holz, das die beiden für sich gesammelt hatten. Hiltrud erhob keinen Einspruch gegen die Wacheinteilung, denn sie traute den anderen nicht und hatte Angst, ihre Ziegen an einen Bären oder streunenden Wolf zu verlieren.
    Marie betete nur, dass das Raubzeug sie verschonen möge, denn sie besaßen keine geeignete Waffe. Auch Gerlinds eisenbeschlagener Stock war nicht mehr das, was er einmal gewesen war. Die einst so scharfe Spitze war abgenutzt und hatte sich verbogen. Marie war daher froh, dass sie das Lager in der Nähe eines Gutshofs aufgeschlagen hatten, auch wenn das Gebell der Hunde so laut herüberschallte, dass es ihnen den Schlaf zu rauben drohte. Doch der Lärm würde Raubzeug von ihnen fern halten.
    Am zweiten Tag fing Berta vier fette Hennen, die sich auf die Straße verirrt hatten, und drehte ihnen den Hals um. Marie lief bei dem Anblick das Wasser im Mund zusammen, denn sie hatte Hühnchen immer gerne gemocht, vor allem in der Art, in der die alte Wina sie zu Hause zubereitet hatte, mit einer leckeren Teigfüllung und knusprig braun gebraten. Die vier dachten jedoch nicht daran, ihre beiden Begleiterinnen zum Essen einzuladen.
    Hiltrud drehte ihnen den Rücken zu und bereitete einen Teig aus Mehl, den sie auf einem Stein im Feuer buk und mit Zwiebeln und wildem Fenchel belegte. Marie beobachtete das Treiben am anderen Feuer und schüttelte sich, als sie sah, dass die anderen die Hühner erst halb im Feuer verbrennen ließen und dann das Innere halbroh verschlangen. Da zog sie Hiltruds knusprige Fladen vor.
    Am dritten Tag konnten sie von einer Anhöhe aus den bewaldeten Gipfel des Fürstkopfs im Süden erkennen, und als sie denHang herab ins nächste Tal stiegen, mündete ihr Pfad in einer breiteren Straße, auf der vor kurzer Zeit Leute mit schweren Wagen vorbeigekommen sein mussten, wie die Hufabdrücke großer Pferde, tief eingeschnittene Rillen von Rädern und das niedergetrampelte Gras am Wegesrand ihnen verrieten. Gerlind und Berta gerieten in

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