Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
Vom Netzwerk:
versenkt werden sollte.
    »Die Herren Bischöfe haben wohl Angst, ein Vogel könnte einen Schnabel mit Hus’ Asche nach Böhmen zu seinen Anhängern tragen«, setzte er böse hinzu und wandte sich zum Gehen.
    Die meisten schüttelten das Unbehagen rasch wieder ab und konnten, kaum dass sie die Stadt betreten hatten, schon wieder lachen. Marie blieb noch eine Weile in der Nähe des schwarz verbrannten Flecks stehen, der als Einziges noch von der Hinrichtung zeugte, und hing düsteren Gedanken nach.
    Hiltrud, die den Platz ebenfalls schon verlassen hatte, vermisste sie, als sie unter den Bogen des Stadttors treten wollte, und kehrte wieder um. Als sie Maries versteinertes Gesicht sah, zupfte sie sie vorsichtig am Ärmel. »Wach auf, Marie! Du darfst doch nicht hier stehen bleiben, wo dich jeder Vorbeikommende fragend anstarrt. Komm, lass uns schnell nach Hause gehen.«
    Marie zuckte zusammen und nickte. Über dem Tod des böhmischen Reformators hatte sie ihre eigene Sicherheit vergessen. Hiltrud zog sie hinter sich her und sorgte dafür, dass sie in einem Schwarm anderer Leute das Schottentor erreichten. Die Wachen kümmerten sich nicht um sie und ließen sie ungehindert in die Stadt. Während sie auf den Ziegelgraben zueilten, beschäftigte Marie sich immer noch mit der Hinrichtung des böhmischen Magisters. Nie zuvor war ihr so sehr bewusst geworden, dass die irdische Gerechtigkeit die Gerechtigkeit der Mächtigen war oder, wie Frau Mechthild sagen würde, Faustrecht. Eine tiefe Niedergeschlagenheit machte sich in ihr breit. War es nicht allzu vermessen, zu glauben, dass jemand, der so schwach und so unbedeutend war wie sie, ein Geschöpf aus der Gosse, sich an einem Mann wie dem Magister Ruppertus Splendidus rächen konnte? Als sie ihr Häuschen erreichten, fanden sie die Haustür nur angelehnt,nahmen aber an, dass Kordula vor ihnen zurückgekehrt wäre. Doch es war Wilmar, der sich Eintritt verschafft hatte. Er saß auf dem Stuhl in Hiltruds Kammer und hielt Hedwigs Hände in den seinen. Neben ihm lag ein verschnürtes Paket, das erst auf den zweiten Blick als Mensch zu erkennen war. Es war ein etwa sechzehnjähriger Junge, dessen Augen die beiden Frauen trotzig anstarrten. Marie sah jedoch, wie seine Kiefermuskeln zitterten. Wäre er nicht kunstvoll geknebelt gewesen, hätte er wahrscheinlich vor Angst geschrien.
    Wilmar drückte Hedwig an sich, der die Situation sichtlich peinlich war, und begrüßte die beiden Frauen übermütig. »Da seid ihr ja endlich! Was sagt ihr dazu? Ich habe Melcher erwischt. Wochenlang habe ich nach ihm gesucht, ohne auch nur den Zipfel einer Spur von ihm zu finden, und ich war schon nahe dran, aufzugeben. Da sehe ich, wie er in Lindau ein Schiff nach Konstanz besteigt, und bin ihm mit dem nächsten Kahn gefolgt. Wie viele andere wollte er zusehen, wie der böhmische Magister verbrannt wird. Ich habe ihn auf einem Baum unweit des Brüel entdeckt und ihn wie eine reife Frucht heruntergeschüttelt.«
    Marie starrte Wilmar fassungslos an. »Wie hast du ihn in die Stadt geschafft?«
    »Ich habe ihn gefesselt, geknebelt und in einen Sack gesteckt. Den Wachen am Tor wollte ich erzählen, ich hätte ein Schwein gekauft, doch es war keiner da. Die Männer waren nämlich auch zum Brüel gelaufen, um Johann Hus brennen zu sehen. So musste ich nicht einmal Zoll für mein Schweinchen bezahlen.« Wilmar war die Freude über seinen gelungenen Streich anzusehen.
    Hedwig blickte Wilmar mit leuchtenden Augen an. »Jetzt werden wir die Unschuld meines Vaters beweisen können, nicht wahr?«
    Wilmar nickte eifrig, doch Marie dämpfte seinen Überschwang. »Das geht nicht auf der Stelle. Wir werden den Jungen bei MichelsSoldaten verstecken müssen, bis der Prozess beginnt. Du, Wilmar, sorgst dafür, dass Michel ihn heute Nacht abholt, und lässt dir von ihm gleich selbst ein Quartier anweisen. Hedwig, du gehst sofort wieder hoch in mein Zimmer. Es war sehr leichtsinnig von dir, dich hier unten herumzutreiben, wo dich Vorübergehende durch die Fenster erkennen könnten.«
    Die beiden jungen Leute blickten Marie so erschrocken an, dass sie beinahe laut aufgelacht hätte. Während sie zusah, wie Wilmar Hedwig noch die Treppe hinaufhalf, spürte sie, wie ihre Verzagtheit einem Hochgefühl Platz machte, das sie selbst verwirrte. Jan Hus’ Hinrichtung war eine Episode gewesen, die keinen Einfluss auf ihr Handeln oder ihr Leben haben durfte. Jetzt, wo der Kaiser nicht mehr mit dem böhmischen Magister

Weitere Kostenlose Bücher