Die Wanderhure
zog sie an sich, strich ihr über das Haar und versuchte, sie wortlos zu trösten. Im ersten Augenblick wollte Marie ihn abwehren, denn sie war zu angespannt. Dann aber lehnte sie sich an ihn. »Jetzt hatte ich schon Hoffnung geschöpft, weil Wilmarden Lehrjungen Melcher gefunden hat, der die Unschuld meines Onkels bezeugen könnte.«
Der Württemberger winkte müde ab. »Der würde uns nur nützen, wenn der Kaiser selbst Recht spräche und wir auch die anderen Beweise gegen Ruppertus Splendidus vorlegen könnten. Doch um Sigismund anderen Sinnes werden zu lassen, müsste schon der Herrgott selbst vom Himmel herabsteigen.«
Eberhard von Württemberg ließ Marie los und trat ans Fenster, wie er es gerne tat, wenn er mit sich selbst uneinig war.
Marie stellte sich neben ihn, umklammerte seinen Arm, als wäre der Graf der einzige Mensch, der ihr noch Halt geben konnte in einer Welt, in der alle ihre Wünsche und Hoffnungen in Scherben gingen, und starrte auf die vorbeiströmenden Passanten. Ihr Blick fiel auf eine Gruppe ihr bekannter Huren, die erregt aufeinander einredeten und in die Gasse einbogen, durch die es zum Ziegelgraben ging. Einen Augenblick fragte Marie sich verärgert, ob es heute wohl schon wieder eine Versammlung in ihrem Haus geben würde. Sie war der sinnlosen Klagen und Beschwerden müde. Dann aber hatte sie eine Vision. Sie holte tief Luft und versuchte, ihre Gedanken wieder einzufangen. Erst als der Württemberger ihre verkrampften Hände von seinem Arm löste und spielerisch küsste, wurde ihr bewusst, dass sie eine Weile starr dagestanden und die Fingernägel in die Haut ihres gräflichen Liebhabers gebohrt hatte.
Entschuldigend strich sie über seinen Arm und lächelte ihn verschmitzt an. »Noch ist der Kaiser nicht abgereist. Haltet Euch morgen bei der Frühmesse im Münster mit einigen Eurer Leute bereit. Für das Wunder sorge ich schon.«
Der Graf kniff die Augen zusammen, musterte Marie und schien zu dem Schluss zu kommen, dass sie es ernst meinte.
»Also, Mädchen, wenn du es schaffst, die Aufmerksamkeit des Kaisers zu erringen und ihn für unsere Sache zu interessieren, werde ich dich in Gold aufwiegen.«
»Ich werde das meine dazu tun.« Marie knickste und wollte sich von dem Grafen verabschieden. Doch als sie seine enttäuschte Miene sah, streifte sie ihr Kleid ab und ließ sich aufs Bett fallen. Es war besser, wenn er dem nächsten Tag entspannt und zufrieden entgegensehen konnte.
VI.
A ls Kaiser Sigismund mit seinen Begleitern am nächsten Morgen zur Messe ritt, strömten etliche Huren zum Münster und versammelten sich auf den beiden Vorhöfen. Zunächst achtete niemand auf die Frauen, doch als es immer mehr wurden und sie durch ihre Anzahl die Kirchentore blockierten, wurden die Stadtwachen unruhig. Ihr Kommandant, Ritter Bodman, schickte einige Knechte aus, die den Huren schroff befahlen, den Weg zum Hauptportal frei zu machen.
Madeleine stellte sich vor die Männer hin und stemmte die Arme in die Hüften. »Wir wollen den Kaiser sprechen.«
Die Knechte versuchten, ihren Befehl mit Beschimpfungen und wütenden Gesten durchzusetzen, doch die Frauen drängten sich noch dichter zusammen und machten so entschlossene Gesichter, dass einer der Männer zu seinem Kommandanten zurückkehrte.
Als er ihm Madeleines Worte mitteilte und nach neuen Befehlen fragte, färbte Bodmans Gesicht sich purpurrot. Er trieb sein Pferd die Stufen hoch, wich aber bald zurück, weil er von den immer noch zusammenströmenden Frauen eingekeilt zu werden drohte, und verlegte sich darauf, die Huren anzubrüllen. Die Frauen wussten jedoch genauso gut wie er, dass er nicht genug Männer besaß, um mit ihnen fertig zu werden. Jemand schlug vor, die Fußknechte des Pfalzgrafen zu Hilfe zu rufen. Doch von denen war weit und breit nichts zu sehen, und die Boten, die diePfälzer holen sollten, kamen unverrichteter Dinge wieder zurück.
Eine der Huren tippte Marie kichernd auf die Schulter. »Ich habe deinen Freund vorhin mit seiner ganzen Kompanie ausrücken sehen. Wirklich nett von ihm, sich hier rauszuhalten.« Marie nickte zufrieden. Michel hatte sein Versprechen halten können. Er würde eingreifen, wenn es an der Zeit war, aber anders, als Ritter Bodman es sich vorstellte. Marie wusste, dass ihr Jugendfreund ein großes Risiko einging, denn wenn das hier schief ging und Ruppert triumphierte, würde es ihn den Kopf kosten.
Als eine größere Gruppe Pfennighuren die Straße zum Münster hochmarschierte,
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