Die Wanderhure
beschäftigt war, würde er möglicherweise geneigter sein, den Wunsch des Württembergers nach einem gerechten Prozess gegen den Mörder des Junkers von Steinzell zu erfüllen.
Marie legte sich ihr Schultertuch um, da es draußen kühl wurde, und eilte zum Haus ihres gräflichen Liebhabers, um ihm von der Gefangennahme Melchers zu berichten.
V.
M arie traf Eberhard von Württemberg nicht an. Der Pförtner teilte ihr freundlich mit, dass der Kaiser die hohen Herren des Reiches zu sich gerufen hatte, um mit ihnen das weitere Vorgehen zu besprechen, und bat sie, am nächsten Vormittag wieder zu kommen. Marie war es, als sei sie vor eine Wand gelaufen. Die Kraft, die sie gesammelt hatte, um den Grafen zum Handeln zu bewegen, rann aus ihr heraus und machte sie mutlos, und so kehrte sie mit hängenden Schultern in ihr Häuschen zurück und wünschte sich nichts sehnlicher, als sich zu verkriechen und zu schlafen.
Aber als sie die Leiter zu ihrer Kammer hinaufkletterte, saßen Hedwig und Wilmar dort Händchen haltend auf dem Boden vor ihrem Bett. Die Zuneigung, die die beiden füreinander empfanden, hatte Marie nie erleben dürfen, und sie empfand gegen ihren Willen Neid. Statt Wilmar hinauszuwerfen, wie sie es im ersten Impuls gerne getan hätte, und Hedwig auf den Strohsack unter der Schräge zu scheuchen, auf dem sie nachts schlief, drehte sie sich um, stieg ins Erdgeschoss hinab und half Hiltrud in der Küche.
Als Marie sich am nächsten Morgen dem Quartier des Württembergers näherte, riss der Pförtner das Tor auf, noch ehe sie es erreicht hatte. Der Mann schien heilfroh zu sein, sie zu dieser frühen Stunde zu sehen.
»Dem Himmel sei Dank, dass du kommst, Marie. Seine Erlaucht ist heute nicht auszustehen.«
Marie musste nicht nachfragen, denn sie hörte die zornige Stimme des Württembergers bis auf die Straße hinab. Im gleichen Augenblick, in dem sie das Haus betrat, ertönten eilige Schritte auf der Treppe, gefolgt von einem Poltern. Ein Lakai sprang die Stufen herab und wich im letzten Moment dem Stuhl aus, den der Graf ihm in einem Wutanfall nachgeworfen hatte. Marie fragte sich bang, was seinen Unmut erregt haben mochte, und wollte sich schon abwenden, um ein anderes Mal wieder zu kommen. Doch dann biss sie die Zähne zusammen und ging nach oben.
Eberhard, Graf von Württemberg, stand in der Tür seines Zimmers und hielt bereits einen anderen Gegenstand in der Hand, den er offensichtlich dem Nächsten, der ihn ansprach, an den Kopf werfen wollte. Als er Marie auf sich zukommen sah, ließ er die Silberschale fallen, trat auf sie zu und riss sie wild an sich. Sein saurer Atem und die flackernden Augen zeigten ihr, dass er zu viel getrunken hatte. Sein Hemd stand offen, und er hatte einen Knopf seines Hosenlatzes abgerissen. Marie wurde klar, dassetwas Unerwartetes eingetreten sein musste, und sah den Württemberger fragend an.
»Der Teufel soll den Kaiser holen«, sagte der Graf anstelle einer Begrüßung.
»Habt Ihr Euch etwa mit ihm gezankt?«
»Gezankt? Hätte ich ein Wort des Widerspruchs gewagt, hätte er die Reichsacht über mich verhängt, so verbohrt, wie er ist. Nachdem er den böhmischen Magister auf den Scheiterhaufen gebracht hat, hält es ihn nicht mehr in dieser Stadt. Er will so schnell wie möglich nach Spanien reisen, um sich mit den dortigen Königen wegen Pedro de Luna zu einigen, oder sagen wir lieber, wegen Seiner Heiligkeit, Benedikt XIII. Das ist Herrn Sigismund im Augenblick wichtiger als alles andere. Als ich ihn auf einige noch offen stehende Entscheidungen ansprach, die er eigentlich schon längst hätte treffen müssen – unter anderem auch über den Mord an dem Steinzeller Junker –, fertigte er mich unwirsch ab. Im Verlauf unseres Disputs kam heraus, dass er den Prozess gegen deinen Onkel auf Anraten des ehrenwerten Herrn Ruppertus von Keilburg bereits an das bischöfliche Gericht von Konstanz übertragen hat. Ich musste wirklich an mich halten. Ruppertus von Keilburg hat er diesen elenden Bastard genannt, den der Teufel besser vorgestern als gestern hätte holen sollen. Jetzt fehlt nur noch, dass Sigismund Konrad von Keilburg zum Herzog von Schwaben macht. Mächtig genug ist der Kerl ja schon.« Marie ballte in hilfloser Wut die Fäuste. »Langsam glaube ich, dass der Teufel solchen Leuten wie Ruppert und seinem Bruder noch hilft, durch ihre Untaten groß zu werden. Vor dem bischöflichen Gericht ist mein Onkel schon vor dem Prozess ein toter Mann.«
Graf Eberhard
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