Die Wanderhure
Flusses, der Elta, wie Gerlind das Gewässer genannt hatte. Ob es tief und seine Strömung schnell genug war, um ihr ein gnädiges Ende zu schenken? Sie fürchtete sich nicht davor, als Selbstmörderin zu gelten, denn wenn Gott so hartherzig war, ihre Not zu verurteilen, mochte der Teufel sich als Freund erweisen. Schlimmer als die Menschen konnte auch er sie nicht behandeln. Weiterleben hieß für sie, so zu werden wie Gerlind und die anderen. Sie würde als Hübschlerin über die Straßen ziehen, als eine verachtete Wanderhure, die sich unter jeden schmutzigen Kerl legen musste, um an einen Kanten hartes Brot zu kommen. Das würde sie nie fertig bringen. Sie stand mit müden Bewegungen auf, um zum Flussufer hinunterzugehen.
Doch schon bei den ersten Schritten fiel ihr ein, dass es außer ihr niemanden gab, der Ruppert seinen Raub streitig machen konnte. Er hatte ihr den Vater und das Bürgerrecht gestohlen und dafür gesorgt, dass sie zu jenen gehörte, deren Leben weniger galt als das eines Schafes oder Schweins. Wenn sie sich jetzt umbrachte, hatte er auf der ganzen Linie gesiegt.
Marie ließ sich diesen Gedanken mehrmals durch den Kopf gehen. Was konnte sie tun? Als ehrlose Streunerin hatte siekeinerlei Möglichkeit, gegen einen Mann wie Magister Ruppertus Splendidus vorzugehen, einen geachteten Standesherrn, der noch dazu ein Sohn des Reichsgrafen Heinrich von Keilburg war. Gib auf, sagte sie zu sich selbst, oder willst du, dass der Rest deines Lebens eine einzige Qual werden wird, so wie bei Fita?
Doch etwas in ihr bäumte sich auf. Hatte Hiltrud nicht gesagt, dass auch Huren nicht wehrlos seien? Sie war jung und schön, und wenn sie das nicht länger verbarg, würde sie vielleicht einem Mann so den Kopf verdrehen können, dass er Ruppert, Utz, Linhard und Hunold umbrachte, nur um sie zu besitzen. Noch besser war es, wenn sie so viel Geld zusammenbrachte, dass sie einen Meuchelmörder für die vier dingen konnte. Der Gedanke an Rache war nicht gerade christlich, aber die Kirche hatte sie verdammt und würde ihr so oder so den Weg in die Hölle weisen, ganz gleich, ob sie selbst zur Mörderin wurde oder den Rest ihres Lebens für eine Schuld büßte, die sie nie auf sich geladen hatte. Also war es besser, für die Rache zu leben, als jetzt schon die glühenden Pforten der Unterwelt zu durchschreiten.
Marie schreckte erst aus ihren Gedanken hoch, als die vier Huren wieder auftauchten. Hiltrud schalt sie eine Traumsuse, weil sie weder die Ziegen getränkt noch das Zelt aufgebaut oder sich um ein Feuer gekümmert hatte. Aber sie meinte es nicht ernst, denn sie wirkte sehr zufrieden. Berta schien ebenso gut verdient zu haben, denn sie summte ein lustiges Lied und klimperte mit den Münzen, die sie eingeheimst hatte. Auch Gerlind kicherte vergnügt vor sich hin. Fita aber stöhnte und krümmte sich und presste die Hand auf den Bauch.
»Warum müssen Männer immer so grob sein?«, fragte sie weinerlich.
Gerlind schüttelte aufseufzend den Kopf. »Du lässt zu viel mit dir machen. Such dir die richtigen Kerle aus, dann hast du auch nicht so viele Schwierigkeiten. Los, lass dir von Hiltruds Tinkturgeben oder besser noch von der Salbe, die sie von dem Merzlinger Apotheker bekommt. Die brennt nicht so höllisch.«
Hiltrud ging zu ihrem Wagen und suchte den Topf heraus. »Gerlind hat Recht. Du musst lernen, diese Grobiane handzahm zu machen, sonst hältst du es nicht mehr lange aus«, sagte sie zu Fita und streckte ihr den Tiegel hin. »Hier, nimm. Das Zeug hilft ausgezeichnet. Bei Marie hat es auch genützt. Sie war ja wirklich übel zugerichtet, und jetzt ist nichts mehr zu sehen.«
Berta hob den Kopf und schnaubte. »So? Marie ist wieder gesund? Dann wundert es mich, dass du sie nicht zur Arbeit antreibst. Da sie deine Magd ist, steht dir der größte Teil ihrer Einnahmen zu. Heute gab es genug Kerle mit Geld in der Tasche. Da hätten wir ruhig zu fünft arbeiten können. Fita hätten ein oder zwei Freier weniger bestimmt nicht geschadet. Wenn sie so verletzt ist, wie sie tut, wird es Tage dauern, bis sie wieder verdienen kann.«
»Ich überlasse Marie die Entscheidung, wann sie anfangen will, zu arbeiten.« Hiltrud hätte Berta am liebsten zurechtgewiesen und ihr gesagt, dass sie das gar nichts anginge, denn solche Vorwürfe machten es ihr nicht gerade leichter, Marie von den Vorteilen des Hurenlebens zu überzeugen. Noch bestand die Gefahr, dass das Mädchen sich eher ertränken als Vernunft annehmen würde,
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