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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Baum heben und kamen trotz aller Hindernisse gut genug voran, um die rasch ausschreitende Berta nicht aus den Augen zu verlieren.
    Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichten sie die Herberge. Das Unwetter hatte auch hier gewütet, aber keine größeren Schäden angerichtet. Zwei Knechte kletterten auf den Schindeldächern herum, um schadhafte Stellen auszubessern, ein anderer war noch dabei, die Reste des herabgerissenen Laubs auf einen großen Haufen zu schaufeln. Der große, nur mit einem einfachen Zaun umfriedete Vorhof stand voller Frachtwagen, deren festgezurrte Planen dem Wetter ebenso widerstanden hatten wie die unter einem Vordach angebundenen Zugochsen. Die Fuhrleute hatten ihre Fracht bereits kontrolliert und saßen nun zufrieden im Kreis zusammen.
    Da der vordere Teil der Herberge nicht von einer Mauer umgeben war, gab es auch kein festes Tor und keinen Knecht, der unerwünschte Eindringlinge fern hielt. So hatte Berta sich ungehindert zu den Männern gesellen können. Als ihre Gefährtinnen sich näherten, schüttelte sie schon das Stroh ab, in dem sie mit ihrem ersten Kunden verschwunden war, und eilte ihnen fröhlich winkend entgegen.
    »Hier können wir einiges verdienen. Es sind zwei große Wagenzüge da, einer aus Konstanz und einer aus Stuttgart. Die Leute sind froh, dass sie das Unwetter so glimpflich überstanden haben, und werden nicht kleinlich sein.«
    »Aus Konstanz, sagst du?«, fragte Marie mit zitternder Stimme. Ohne Bertas Antwort abzuwarten, lief sie auf einen Wagen zu, der das Zeichen eines ihr bekannten Handelshauses trug. Ihr Blick flog über die Männer, die es sich an Tischen zwischen den Wagen bequem gemacht hatten und ihren Wein aus einfachen Holzbechern tranken, in der Hoffnung, ein bekanntes Gesicht zu entdecken. Vielleicht erhielt sie hier Kunde von ihrem Vater – oder fand ihn sogar selbst. Bald fiel ihr Blick auf einen Mann, der ihr bekannt vorkam, obwohl er mit dem Rücken zu ihr saß. Für einen Moment verharrte sie unsicher, aber als er seinen Kopf wandte, um die Frage eines anderen zu beantworten, drückte sie sich erschrocken in den Schatten eines Frachtwagens und sah noch einmal genauer hin. Nein, sie hatte sich nicht geirrt. Dort saß Utz Käffli.
    Marie schlug die Arme um den Körper und krümmte sich unter den Schmerzen, die plötzlich durch ihren Bauch schossen, als sei sie eben erst vergewaltigt worden. Der Anblick des ungewaschenen Mannes in schäbiger Fuhrmannstracht jagte ihr höllische Angst ein, und sie wäre am liebsten davongelaufen, aber die Hoffnung, etwas über ihren Vater zu erfahren, hielt sie zurück.
    Da Berta, Gerlind und Fita die Aufmerksamkeit der Fuhrknechte auf sich zogen, kümmerte sich niemand um sie, selbst Hiltrud nicht, die ihre Ziegen kurzerhand am Zaun angebunden hatte und sich ebenfalls zu den Männern gesellte. Um nicht entdeckt zu werden, zog Marie sich hinter einen der Unterstände zurück, die nach drei Seiten offen waren und in denen nicht nur die Zugochsen, sondern auch die Knechte die Nacht verbrachten. Die rasch hereinbrechende Dämmerung verbarg Marie vor denBlicken der anderen, während sie selbst im Schein der Feuer erkennen konnte, was vorging.
    Sie beobachtete, wie Hiltrud mit einem gut gekleideten Mann mittleren Alters handelseinig wurde und ihm unter die Plane eines Frachtwagens folgte. Fita wurde von einem grobschlächtigen Kerl ins Dunkel gezerrt, und ein weiterer Fuhrknecht wollte nach Berta greifen. Utz kam ihm jedoch zuvor und zog die dickliche Hure mit triumphierendem Grinsen mit sich. Bald hatte auch Gerlind einen Freier gefunden und verschwand mit ihm hinter einem der großen Räder. Die übrigen Fuhrknechte blickten ihnen neidisch nach.
    Einer stand ungeduldig auf und sah sich um. »War da nicht noch eine fünfte Hure?«
    Ein anderer lachte. »Hast du es so nötig, dass du nicht warten kannst? Also, ich habe keine gesehen.«
    »Ich auch nicht«, warf ein Dritter ein. »Sei doch froh, dass die vier hier zur rechten Zeit aufgetaucht sind. Mich freut das Handgeld, das uns der Patron dafür gegeben hat, dass wir die Herberge vor dem Unwetter erreicht haben, nun gleich doppelt.«
    In dem Augenblick kehrte Fita zurück und zog die Aufmerksamkeit auf sich. Sie kam kaum dazu, ihr Geld wegzustecken, denn sie wurde von einem ruppigen Burschen gepackt und in den Schatten gestoßen. Man konnte Fita ansehen, wie unglücklich sie war. Trotzdem wagte sie es nicht, sich einen anderen Freier auszusuchen. Ihre Hilflosigkeit schien

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