Die Wanderhure
wenn es erst begriff, dass keiner seiner Verwandten es von der Straße wegholen wollte. Doch sie biss die Zähne zusammen, um keine weitere Diskussion aufkommen zu lassen.
Berta gab nicht nach. »Dann bist du aber schön blöd. Ich hätte das feine Fräulein längst unter einen kräftigen Hengst gelegt, notfalls auch mit Gewalt. Wenn sie weiter mit uns ziehen will, muss sie sich anpassen. Eine nutzlose Fresserin dulde ich nicht in der Gruppe.« Die letzten Worte klangen gehässig.
Gerlind schlug mit der flachen Hand aufs Gras. Berta hatte mit diesen Worten ihre Autorität angegriffen, und das passte ihr nicht. »Erstens musst du Marie nicht durchfüttern, und zumZweiten solltest du dich freuen, dass du heute mehr verdienen konntest, als wenn sie uns mit ihrem hübschen Gesicht die besten Freier weggeschnappt hätte.«
Fita erhob sich. »Ich gehe runter zum Wasser und wasche mich.«
Sie hasste Streit und lief vor jeder Auseinandersetzung davon. Diesmal tadelte sie niemand dafür. Gerlind und Hiltrud nickten nur und begleiteten sie zum Fluss. Marie schloss sich ihnen an, um wie gewohnt auf die Kleider der anderen aufzupassen. Nach einem Augenblick des Schmollens folgte Berta ihnen ebenfalls, doch sie dachte nicht daran, sich das Kleid über den Kopf zu streifen und in die kühlen Fluten zu steigen. Sie hatte Gerlinds Zurechtweisung noch nicht verdaut und reagierte immer noch bissig.
»Passt auf, dass ihr euch unten herum nicht verkühlt. Sonst muss ich in der nächsten Zeit allein arbeiten.«
Gerlind lachte auf. »Das wäre doch genau das, was du dir immer wünschst, nämlich die einzige Hure weit und breit zu sein.«
Über diese Bemerkung musste sogar Berta lachen. Die Spannung zwischen den Frauen verflog so rasch, wie sie entstanden war. Während Berta und Marie am Ufer zurückblieben, tauchten Gerlind, Hiltrud und Fita ganz in das Wasser ein. Im Licht des Mondes wirkten sie wie Nixen in einem geheimnisvoll schimmernden Reich. Schließlich zog auch Marie ihr Kleid aus und stieg in den Fluss. Die Kälte des Wassers raubte ihr fast den Atem, und sie musste sich überwinden, um bis zu den Schultern einzutauchen.
»Gut so, Marie. Das ist die erste Regel, die eine Hure beherzigen sollte, sich sauber zu halten.« Gerlinds Blick zeigte, dass ihre Worte eher auf Berta gemünzt waren. Sie kamen auch dort an.
»Einige der Kerle haben doch ein wenig arg gestunken.« Berta hob schnaubend ihren Rock höher und begann sich zwischen den Schenkeln zu waschen.
»Dann solltest du aber nicht nur dein Goldstück säubern.Schließlich haben die Kerle dich ja auch woanders angefasst«, forderte Gerlind sie auf. Doch dafür war Berta das Wasser dann doch zu kalt.
Marie stapfte gegen die Strömung auf Hiltrud zu und berührte sie am Arm. »Ich muss mit dir reden.«
Hiltrud sah überrascht auf. Sie spürte den inneren Kampf, den Marie ausfocht, und begriff, dass etwas passiert sein musste. Marie wirkte nicht mehr so verzweifelt, in den wenigen Worten lagen eine Kraft und Entschlossenheit, die Hiltrud überraschte. Sie erinnerte sich daran, dass einer der beiden Wagenzüge aus Konstanz stammte, und hoffte, dass die Neuigkeiten, die Marie erfahren hatte, ihr die Flausen austrieben.
Hiltrud strich ihr sanft über das Haar und wanderte Arm in Arm mit ihr Richtung Ufer. »Du kannst jederzeit mit mir reden, Kind.«
Marie schloss die Augen und spürte die Strömung des Flüsschens, die sanft an ihr leckte. Nein, hier würde sie kein schnelles, gnädiges Ende finden, und sie wollte es auch gar nicht mehr. Sie wünschte Ruppert und Utz und besonders Linhard, diesen heimtückischen Verräter, von ganzem Herzen zur Hölle und hoffte, die drei würden lange vor ihr dort ankommen. Dafür wollte sie ein Schicksal auf sich nehmen, das ihr vor Stunden noch schlimmer erschienen war als der Tod. Sie sah ihre Begleiterin an und atmete tief durch.
»Ich bin bereit, zu arbeiten, Hiltrud. Doch du wirst mir noch sehr viel beibringen müssen.«
DRITTER TEIL
Burg Arnstein
I.
S o früh am Morgen waren die Gassen zwischen den Buden noch leer und die Stände abgedeckt. Die Händler und das fahrende Volk schliefen zumeist noch in ihren Zelten oder unter ihren Wagen. Ein paar Frühaufsteher beiderlei Geschlechts wuschen sich ungeniert im Fluss, wobei einige Männer derbe Zoten zum Besten gaben, worauf die meisten Frauen schamrot abzogen, um an anderer Stelle zu baden.
Marie hatte sich mit Hiltrud zusammen lange vor den anderen gewaschen und saß
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