Die Wanderhure
weggenommen hatte. Dabei war es beinahe zum ersten großen Streit zwischen ihnen gekommen. Hiltrud hatte auch da viel Geduld mit ihr bewiesen und ihr mehrfach erklärt, dass das Mittel süchtig mache und bei regelmäßiger Einnahme Geist und Körper zerstöre.
Marie war es damals schwer gefallen, auf das Mittel zu verzichten, und manchmal, wenn sie an einen unangenehmen Freier geriet, sehnte sie sich heute noch danach, es zu nehmen. Dabei war sie in der glücklichen Lage, sich ihre Kunden aussuchen zu können. Doch leider hielt nicht jeder Freier das, was sein Auftretenversprach. Manch höflicher und galanter Mann entpuppte sich im Zelt als wüster Kunde, für den die Frau unter ihm nur ein Gegenstand war, den zu benutzen er sich mit ein paar Münzen erkauft hatte.
Marie musste an Berta denken, die oft von blauen Flecken gezeichnet war und sie manchmal, wenn der Liebeslohn höher als gewöhnlich gewesen war, stolz präsentierte. Unwillkürlich sah sie zu dem Zelt hinüber, in dem ihre frühere Gefährtin hauste. Zwei Sommer lang waren sie und Hiltrud mit Berta, Fita und Gerlind durch das Land gezogen. Beim Herbstmarkt in Rheinau hatte Berta jedoch einen Streit vom Zaun gebrochen, aus Eifersucht, weil Hiltrud und Marie bessere Freier als sie anlocken konnten, und die Gruppe verlassen. Fita, die wie ein Hund an Berta hing, war mit ihr gezogen, während Gerlind mit Hiltrud und Marie gegangen war.
Im folgenden Winter hatte Gerlind sich entschlossen, ihr Wanderleben aufzugeben, und war in der Hütte geblieben, die sie im Herbst zu dritt für ein paar Pfennige angemietet und wohnlich eingerichtet hatten. Gerlind wollte dort als Kräuterfrau arbeiten und, wie sie beim Abschied kichernd gesagt hatte, sich ein junges Mädchen besorgen, das ihr als Magd und Verdienstquelle dienen konnte. Marie fragte sich, ob sie die alte Hure wohl noch einmal wiedersehen würde. Sie hatte auch nicht erwartet, wieder auf Berta und Fita zu treffen, denn die hatten die Donau abwärts bis ins Böhmische ziehen wollen. Irgendwann mussten sie es sich anders überlegt haben, denn sie arbeiteten jetzt hier auf dem Markt. Berta hatte ihren freundlichen Gruß jedoch nur mit einem Schnauben beantwortet, deswegen hatte Fita sich nicht getraut, ein freundliches Wort mit ihnen zu wechseln.
Marie fand, dass Bertas Zelt sehr schäbig war und die Frau noch schlampiger aussah als vor anderthalb Jahren. War sie früher mollig gewesen, wirkte sie nun ausgesprochen fett. Fita dagegen war hager geworden und vorzeitig gealtert. Trotzdem machtendie beiden recht gute Geschäfte, wenn man nach der Zahl der Männer ging, die am Vortag ihre Zelte besucht hatten. Es waren jedoch nur Handwerksgesellen und Knechte gewesen, die sich ein paar Pfennige zusammengespart hatten, um wenigstens einmal im Jahr zu erfahren, wie sich der warme Leib einer Frau anfühlte.
Vielleicht würde sie in einigen Jahren um solche Kundschaft froh sein müssen, dachte Marie aufseufzend. Doch zurzeit hatten Hiltrud und sie es nicht nötig, jemanden zu nehmen, der ihnen drei Haller Pfennige bot. Hiltrud lockte mit ihrer stattlichen Größe viele wohlhabende Männer an, die sich beweisen wollten, und sie selbst konnte sich ihre Freier unter vielen aussuchen und Preise fordern, die für einfache Handwerker unerschwinglich waren.
Einer ihrer großzügigsten und anhänglichsten Kunden hatte ihr mehrfach angeboten, sie als Mätresse in einem schönen Haus unterzubringen. Der Mann war ein Wollkaufmann aus Flandern und hatte sie in seine Heimat mitnehmen wollen. Doch wäre sie ihm gefolgt, hätte sie Hiltrud verlassen müssen, und das würde sie nur tun, wenn sie die Chance sah, zu ihrer Rache zu kommen.
Marie hatte schon mehrmals versucht, Informationen aus ihrer Heimatstadt zu erhalten. Aber die Leute, die ihr Antwort hätten geben können, waren Fuhrleute und Händler, die Utz kannten und viel mit ihm zu tun hatten, und die traute sie sich nicht anzusprechen. Schließlich hatte sie einen wandernden Sänger, der nach Konstanz reisen wollte, Geld gegeben und ihn gebeten, sich dort nach dem Schicksal ihres Vaters zu erkundigen. Sie hatten sich zwei Monate später auf dem Baseler Jahrmarkt treffen wollen, doch zu ihrer großen Enttäuschung war er nicht erschienen. Sie war dem Mann auch sonst nirgends mehr begegnet oder hatte jemanden getroffen, der etwas über ihn wusste, und schon befürchtet, ihm sei bei seinen Erkundigungen etwas zugestoßen.Hiltrud war jedoch der Ansicht, der Sänger hätte ihr
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