Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
Vom Netzwerk:
Der Kelpi schickte mich nach Ataheim und diesmal zwang er mich, alles zu berichten, was ich gesehen hatte. So musste ich ihm auch von dir erzählen, Ainwa. Ich habe ihm erzählt, wo er die Wanife findet, nach der er so lange gesucht hat.«
    Rainelf vergrub das Gesicht in seinen Händen und schwieg eine Weile.
    Ich starrte ihn unschlüssig an, hin- und hergerissen, ob ich ihn bemitleiden oder verachten sollte … Es war für mich unvorstellbar, wie ein Mensch so viel Leid ertragen konnte wie er.
    »Als ich ihm alles erzählt hatte«, fuhr Rainelf fort, »begriff er, dass ich ihm deine Existenz verheimlicht hatte. Ein paar Wochen vor dem Blutmond sperrte er mich wieder in die Höhle und diesmal war ich sicher, wenn er erst von dir hatte, was er wollte, würde er zurückkommen und mich für meinen Verrat bestrafen. Dieses Mal war ich bereit dafür, Ainwa. Ich wollte dieses Halbleben in der Geisterwelt nicht mehr und ich erwartete seine Rückkehr geduldig und ohne Angst. Aber stattdessen passierte ein Wunder.«
    Rainelfs Augen begannen zu leuchten. »Von einem Augenblick zum anderen verschwand der Wille, der mich zwang, in der Höhle zu bleiben. Ich stand auf und zum ersten Mal seit vierzig Jahren konnte ich gehen, wohin ich wollte. Zuerst weigerte ich mich, es zu glauben, aber das Undenkbare musste passiert sein. Jemand hatte den Kelpi besiegt.
    Ich wandelte zurück in die Menschenwelt. Aus lauter Angst, der Kelpi hätte doch überlebt und würde mich wieder einfangen, beschloss ich wegzulaufen, so weit mich meine Füße tragen würden und erst anzuhalten, wenn ich das Seenland hinter mir gelassen hatte.
     
    Am nächsten Tag hörte ich plötzlich Lärm von einem nahen Kraftplatz. Ich lief hin und fand dich, lebendig und unversehrt. Du hattest gerade den Streuner getötet. Nun, ich denke, du kennst den Rest der Geschichte …«
    Ich beugte mich vor und stützte mich auf meinen Stab.
    »Wieso hast du es dir anders überlegt?«, fragte ich. »Du hättest weglaufen können, du hättest all dem hier den Rücken kehren können, vor allem Gorman. Ich verstehe jetzt, warum er in dieser Nacht im Seemoor wusste, dass du bei mir warst. Sein Kelpiblut hat dich wiedererkannt. Ich begreife auch, warum du nie länger in meiner Nähe bleiben wolltest; du hattest Angst, Gorman würde dich finden; du hattest Angst, er würde dich wieder in seine Dienste zwingen, so wie der Kelpi. Das alles verstehe ich. Aber ich verstehe nicht, warum du geblieben bist – wenn du doch hättest weglaufen können.«
    »Vielleicht wollte ich einfach sehen, wie du dich so machst«, meinte er mit einem flüchtigen Lächeln und erhob sich. »Auf jeden Fall tut es mir leid, was du alles durchmachen musstest wegen mir, mehr als du denkst.« Er hob den Blick und sah mir direkt in die Augen. »Leb wohl, Ainwa. Ich verspreche, dich von jetzt an in Frieden zu lassen. Ich werde dir nicht mehr wehtun.«
    Er wandte sich ab.
    »Wieso der neue Name?«, rief ich ihm hinterher.
    Rainelf verharrte kurz.
    »Du hast einen neuen Namen«, sagte ich. »Warum?«
    Rainelf wandte sich zu mir um und schüttelte lächelnd den Kopf.
    »Mein alter Name, Elman, hat mich immer nur an all die Fehler erinnert, die ich begangen habe.«
    »Tja, diesen Elman kenn ich nicht«, erwiderte ich und seufzte. »Aber was Rainelf angeht, der hat mir schon ein paarmal das Leben gerettet. Er hat vielleicht nicht alles richtig gemacht, aber wer kann das schon von sich behaupten? Ich denke, er könnte jetzt ganz von vorn anfangen, ein neues Leben, wenn er will.«
    »Was willst du damit sagen?«, fragte Rainelf stirnrunzelnd.
    Ich lächelte. »Nichts. Nur, dass du jemanden hast, auf den du zählen kannst, das ist alles.«
    Rainelf starrte mich ungläubig an. Dann senkte er verstört den Blick und schüttelte den Kopf.
    »Ainwa, es ist nett, dass du das sagst, aber diese lange Zeit in der Geisterwelt hat mich für immer gebrandmarkt. Ich spüre kaum Kälte, schlafe nicht, esse und trinke nur, wenn ich mich dazu zwinge … Ich kann nicht einmal weinen. Menschliche Regungen wie Freude, Traurigkeit und Liebe sind mir fremd geworden. Ich weiß nicht … Ich weiß nicht, ob ich sie jemals zurückgewinnen werde.«
    Ich grinste. »Heißt das, ich muss nie mein Essen mit dir teilen?«
    Rainelf erwiderte mein Grinsen und schüttelte den Kopf. »Lass uns zurückgehen, Ainwa.«
     
    Rainelf und ich legten den Rest des Wegs durch die Höhle wortlos zurück. Ich betrachtete ihn manchmal verstohlen von der Seite.

Weitere Kostenlose Bücher