Die Wasserfälle von Slunj
war wie ein Einschuss, ein Pfeil von der Zimmerdecke – vertraute er doch dieser Lage hier; gerade dieser Lage hier und jetzt, darin er sich befand, vertraute er.
„Wenn Sie Ihre Wohnung wechseln wollen, und das wäre vielleicht gut, dann weiß ich Ihnen Rat. Hier in der Gegend“ (er nannte jene Straße auf der anderen Seite des „Kanales“, die ein Stück parallel mit ihm lief) „gibt es einen Hausbesitzer, der ein Klient von mir ist. Im Hause wohnt auch meine jüngere Schwester, die Frau eines Arztes, in einer viel zu kleinen Wohnung. Sie hat schon ein Mäderl, und vielleicht werden da noch Kinder kommen; kurz und gut, sie will übersiedeln, nach Döbling, in eine Wohnung, die groß genug ist, daß ihr Mann auch seine Ordination dort einrichten kann. Er hat noch dazu die meisten seiner Patienten draußen unter den Villenbesitzern. Es ist nun bereits einiges in Aussicht genommen, aber diejenige Wohnung, welche sie sich eigentlich wünschen, wird erst nächstes Jahr mit dem Beginn des dritten Quartals frei. Definitiv ist vorläufig noch nichts, aber ich glaube, die gegenwärtige Wohnung meiner Schwester wäre für Sie, Herr Chwostik, als Junggesellen, sehr geeignet. Falls was aus der Sache wird, würde ich, wenn es Ihnen angenehm ist, Sie derart verständigen, daß Sie noch termingerecht kündigen können. Es ist in der letzten Zeit enorm viel gebaut worden. Oft stehn jetzt Wohnungen längere Zeit leer. Der Hausherr ist mein Klient, und gerade meine Schwester ist es, die da ausziehen will. Ich würde dem Hausherrn gerne an die Hand gehen und ihm gleich anschließend einen mir bekannten soliden Mieter verschaffen. Die Lage wäre für Sie, Herr Chwostik, günstig. Sie hätten von Ihrer neuen Wohnung auch nicht weiter in’s Bureau wie jetzt. Und in Ihrer derzeitigen Wohnung können Sie doch auf die Dauer kaum bleiben.“
Das letzte empfand Chwostik – sicher ganz zu Unrecht! – fast wie eine Drohung. In Wahrheit bildete es nur eine Verstärkung der Stimme Milo’s, die solchermaßen gleichsam anschwoll.
„Herr Doctor“, sagte er, während des Andreas durch Eptinger verstärkte Stimme noch immer in ihm nachklang, „ich wäre Ihnen außerordentlich dankbar, wenn Sie wirklich die Güte hätten, mir in der Wohnungs-Angelegenheit zu helfen. Die Verhältnisse im Hause, unter denen ich derzeit wohnen muß, sind unangenehm, gelinde gesprochen. Jedoch mir fehlt einfach die Zeit, mich um eine geeignetere Wohnung umzusehen. Das ist es ja. Ich bin – gewiß glücklicherweise, kann man sagen – so sehr beschäftigt, daß mir gerade noch die Möglichkeit bleibt, mit meinen höchst notwendigen Sprachstudien weiterzukommen: Verbesserung im Englischen und Französischen, Kroatisch, Slowenisch und Serbisch bei Herrn Milohnić (Sie kennen ihn ja), und jetzt beginne ich Türkisch zu lernen.“
Er schwieg. Immerhin schien ihm, daß er alles richtig vorgebracht hatte. Auch der Satz über ,die Verhältnisse im Hause‘ schien geglückt: nicht zu viel, nicht zu wenig.
„Wenn Sie es wünschen, Herr Chwostik, werde ich sehr gerne die Wohnungs-Sache für Sie in die Hand nehmen“, sagte der Rechtsanwalt. „Sie müssen nur vor Augen haben, daß es nicht von heute auf morgen gehen wird. Wie Sie selbst wissen, gibt es vier Zinsquartale und also vier Termine, an welchen man kündigen kann, wenigstens hier in der Vorstadt; in der Inneren Stadt ist das bekanntlich anders. Das erste Quartal ist vom 1. November bis zum 1. Februar. Von da bis zum 1. Mai. Dann wieder 1. August. An diesem Tag erst könnte die Wohnung frei werden, die meine Schwester haben will, und auch das ist noch nicht ganz sicher; sie selbst ist zudem nicht völlig entschlossen dorthin zu ziehen. Sollte es nun so weit kommen, dann müßten Sie, Herr Chwostik, ebenso wie meine Schwester, am 1. Mai kündigen. Bis dahin ist es noch lang. Wird jedoch aus der Sache nichts, so will ich Ihnen hier in der Gegend was anderes verschaffen. Ich habe Häuser in Verwaltung. Jetzt bereits etwas zu besichtigen, hat jedoch wenig Sinn. Wir wissen ja noch nicht, welches Objekt für meine Schwester ernstlich in Frage kommt. Verbleiben wir also dabei, daß ich Sie, Herr Chwostik, im Frühjahr rechtzeitig verständigen werde. Ich will es mir vormerken.“
„Ich danke Ihnen von Herzen, Herr Doctor“, sagte Chwostik und verbeugte sich. Sie gingen nun alsbald zu den auf dem Tischchen liegenden Akten über. Wieder wie ein Pfeil von der Zimmerdecke, ein leichter, zart ritzender, flog es
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