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Die Wasserfälle von Slunj

Die Wasserfälle von Slunj

Titel: Die Wasserfälle von Slunj Kostenlos Bücher Online Lesen
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Kollegen Milohnić, mit dem er in der Jugend an der dalmatinischen Küste gesegelt war. Jedoch Hanner war kein Seemann. Er war Spezialist für die Strom-Schiffahrt. Auch er hätte am Bodensee einen Dampfer kommandieren sollen. Aber er wollte es nicht. Sein Sohn führte dann ebenfalls die ,Leda‘ durch viele Jahre; dieser hatte eine ungemein schöne Tochter die Ella; sie blühte zu Wien um 1920.
    V om Doctor Eptinger ging Chwostik nicht in’s Bureau zurück, sondern gleich zum Essen. Es war längst Mittag geworden. Er nahm die Mahlzeit bei einem Wirte namens Urschütz (keineswegs in jenem Beisl, wo sein Vater Kellner gewesen war). Es roch hier kühl und kellrig, ein wenig nach Bierfässern, vielleicht auch nach feinem Cigarrenrauch (Kaiser-Virginier?); und freilich gab es den Duft einer sauberen und guten Küche, wie er einem rechten Wirtshause wohl zusteht. Nirgends aß man besser als in solch einem bescheidenen Lokale. Sie blühten damals zu Wien.
    Über die Gasse in’s Café: durchaus fettfreie Luft, Kaffeeduft und Cigarettenrauch, Fallen der Tarock-Karten rückwärts im Spielzimmer, Stille, leises Klicksen und Klacksen der Billardbälle. Die Spieler verständigten sich nur murmelnd.
    Vom Wirtshaus in’s Caféhaus gehend, beim Überschreiten der Straße, fühlte Chwostik jetzt den vollzogenen Erdrutsch innen und außen, stark nachschwingend, das blaue dritte Fenster, den weißen Dampfer davonziehend unter der Brücke. Es war ihm etwa völlig klar, es war eine bereits beschlossene Sache, daß er sich von Kopf bis zu Fuße neu anziehen würde, und alle alten Kleider wegtun, auch den Wintermantel, die Schuhe, die Wäsche. Im Augenblick vermeinte er einen herbstlichen Duft vom Prater her zu fühlen, von den Kastanienbäumen der Hauptallee, den ersten herbstlichen Duft, die Ansprache der nun schon heranstehenden freigeräumten Jahreszeit: und er würde im kommenden Jahre in einem neueren lichteren Hause wohnen. Die Sonne durchlegte ihn, wie eine goldene Ebene, die ihn leicht durchdrang, das blaue Fenster war ein zweiter einfallender Schein, der weiße Dampfer der dritte.
    Im Café ließ Chwostik die Zeitung liegen.
    Er ging grüßend an der Sitzkasse vorbei, wo die Frau Chefin, von Spiegeln umrahmt, thronte, und rechter Hand zu einem kleinen verglasten Bücherschrank, der einige Nachschlagewerke zum Gebrauch für die Gäste enthielt (darunter den ,Kompaß‘, dessen man auf dem weiten Meere einer ehrwürdigen Ämter-Hierarchie bedurfte). Chwostik entnahm aus Meyers Konversationslexikon den 11. Band (Lan-M), trug ihn zu dem Marmortischchen, wo sein, Schwarzer‘ stand, fand bald und las:
    „Leda, in der griech. Mythologie Tochter des Thestios, Königs von Ätolien, Gemahlin des Spartanerkönigs Tyndareos, genoß die Gunst des Zeus, der sich ihr in Gestalt eines Schwanes nahte, worauf L. zwei Eier gebar, aus deren einem Helena und aus dem andern Kastor und Pollux hervorgingen. Indessen weichen die hierauf bezüglichen Mythen in vielen Punkten voneinander ab . . .“
    Chwostik sah sich hier unvermutet auf ein schmäleres Band des Voran-Kommens im Lernen zurückverwiesen, mit seinem Englisch, Serbisch und, sei’s schon, Türkisch (wobei er außerdem viel Persisch und Arabisch mitlernen mußte, denn kein Gebildeter im Orient spricht rein türkisch, es wimmelt die Effendi-Sprache von entlehnten Redensarten). Er sah jetzt, daß es sozusagen links und rechts davon noch vieles und ganz und gar anderes gab. Was ein Spartaner ist, wußte er wohl, und von der schönen Helena hatte Chwostik schon gehört. Aber was Mythologie etwa sein könnte, blieb ihm doch verschlossen. Immerhin hing das mit Sagen zusammen. Jedoch der plötzlich angebohrte Hohlraum schreckte Chwostik nicht allzu sehr. Er eignete sich eben das an, was er wirklich brauchte, und in solchen Fällen, wie dem der Leda, konnte er hier jedesmal nachschauen, dazu war ja das Lexikon da.
    Nun stand er auf, um den Band einzustellen. Den freien Raum vor der Sitzkasse, wo keine Tische standen, durchschreitend, war’s ihm plötzlich wieder, als sehe er durch das blaue Fenster und auf das weiße Schiff. Unmittelbar danach fiel ihm ein, daß er ein erhebliches Geld auf der Sparkassa hatte; schon in den letzten Jahren bei Debrössy hatte Chwostik sehr gut verdient, und jetzt verdiente er noch viel besser. Die Neu-Ausstattung war eine Kleinigkeit.
    Es bleibt merkwürdig (aber es gehörte wohl zu diesem Tage), daß abends um sechs, als man bereits die Kanzlei schloß, in

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