Die Wassermuehle
verrückt, aber Hedi spürte ihr Herz klopfen. Vor dem Garderobenspiegel ordnete sie rasch ihr Haar und öffnete Wolfgang die Tür.
„Hast du telepathische Fähigkeiten?“, fragte er lächelnd.
Hedi musterte ihn erstaunt. Er trug Jeans, Turnschuhe und ein kariertes Hemd und sah aus wie ein zu groß geratener Lausejunge. „Sagtest du nicht, dass du heute früh nach München zurückfahren wolltest?“
„Mir ist etwas dazwischen gekommen.“
„Ach ja?“
„Sehnsucht nach dir.“
Sie lief rot an. „Also, ich ...“
„Guten Tag, Herr Bernsdorf.“
Hedi fuhr erschrocken herum. Vivienne trug ein fliederfarbenes Kleid aus Wildseide und farblich dazu passende Schuhe. „Es tut mir wirklich leid, dass ich Sie gestern versetzen musste.“
Wolfgang nahm ihre Hand und deutete einen Kuss an. „Vergessen und vergeben, Frau Belrot. Das mit dem Hamburger Kunstforum hätten Sie mir aber netterweise sagen sollen.“
„Wie bitte?“
„Komm doch erst mal rein“, sagte Hedi. „Möchtest du einen Kaffee?“
„Gern.“ Er ging voraus ins Wohnzimmer.
„Welchen Unsinn hast du ihm noch alles erzählt?“, zischte Vivienne.
Hedi warf ihr einen wütenden Blick zu. „Ich habe bloß versucht, den Unsinn geradezubiegen, den du ihm erzählt hast, Frau Kultursponsorin!“
Vivienne grinste verlegen und verschwand im Wohnzimmer. Hedi ging in die Küche, um frischen Kaffee aufzusetzen. Durch die offene Tür hörte sie Wolfgang und Vivienne über die Blaue Periode von Picasso und den Grünen Streifen von Matisse diskutieren. Als sie mit dem Geschirrtablett hereinkam, waren sie bei einer Rumänischen Bluse im Pariser Musée National d’Art Moderne angelangt.
Hedi schenkte Kaffee aus. Es ärgerte sie, dass Vivienne sich derart in den Vordergrund spielte, aber sie hatte keine Ahnung, wie sie das Gespräch auf ein anderes Thema bringen sollte. Die Blicke, die Wolfgang ihr zuwarf, machten sie nervös. Als Vivienne merkte, dass er ihr nur noch mit halbem Ohr zuhörte, rückte sie näher an ihn heran, berührte ihn beim Sprechen leicht am Arm und lächelte das Lächeln, für das Hedi sie in der achten Klasse am liebsten erwürgt hätte.
„Ich finde, wir sollten langsam zu einer vertraulicheren Anrede übergehen, oder? Ich heiße Vivienne.“
„Wolfgang“, sagte Wolfgang.
„Morgen Vormittag fahre ich zu einer Gemeinschaftsausstellung junger Künstler ins Heidelberger Schloss. Hättest du nicht Lust, mitzukommen, Wolfgang?“
„Wenn ich Zeit hätte, gern. Leider muss ich heute Abend wieder in München sein.“
„Du fährst aber mit, nicht wahr?“, wandte Vivienne sich an Hedi.
„Ich wüsste nicht, wozu.“
Wolfgang trank seinen Kaffee aus und stand auf. „Das Gespräch war sehr interessant, Vivienne. Wir sollten es bei Gelegenheit fortsetzen.“
„Was hältst du davon, wenn wir vor deiner Abfahrt schnell in mein Atelier hinübergingen? Ich würde dir gern einige meiner Arbeiten zeigen.“
„Du meinst die ...“
Hedi warf ihm einen drohenden Blick zu. Er lächelte. „Ein anderes Mal, ja? Bevor ich mich auf die Autobahn in den Stau stelle, möchte ich mir noch ein wenig die Beine vertreten. Hast du Lust, mich zu begleiten, Hedi?“
„Ich könnte ...“, setzte Vivienne an. Als sie Hedis Miene sah, verstummte sie.
„Ist deine Freundin immer so anhänglich?“, fragte Wolfgang im Hof.
Hedi zuckte die Schultern. „Sie konnte es schon in der Schule nicht ertragen, wenn ein männliches Wesen sich nicht augenblicklich und ausschließlich für sie interessierte.“
Wolfgang lachte. „Ich befürchtete ernsthaft, wir würden sie gar nicht mehr los.“ Er zeigte auf den verblassten, von wildem Wein überwachsenen Hausspruch, von dem nur noch Fragmente zu entziffern waren. „Ich habe mich gestern schon gefragt, was das wohl heißen mag.“
Hedi lächelte. „Ein Mühlstein und ein Menschenherz / Wird stets herumgetrieben. / Wo beides nichts zu reiben hat, / Wird beides selbst zerrieben. Ich glaube, der Dichter hieß Logau. Meine Tante sagte, er habe etwa zu der Zeit gelebt, als die Eichmühle gebaut wurde.“
„Unsere Altvorderen waren zuweilen klüger, als wir es in unserer Arroganz der Moderne wahrhaben wollen“, sagte Wolfgang.
Hedi schlug den Weg zum Mühlteich ein. „Mein Fauxpas von gestern Abend tut mir leid.“
„Was meinst du? Den verweigerten Kuss auf dem Parkplatz oder dein Rückwärtsfrühstück im Wald?“
Hedi merkte, wie ihr heiß wurde. „Bist du immer so direkt?“
„Wenn ich etwas
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