Die Wassermuehle
Sachsenhausen in eine Apfelweinkneipe umzubauen und wollen zwei der Räume nutzen, um unbekannten, aber talentierten Künstlern ein Forum zu bieten. Essig mit Öl sozusagen. Den Käse servieren wir in Essig, die Kunst in Öl.“
Hedi lachte; Viviennes Gesichtsfarbe machte einem Mohnfeld Ehre. „Ich bin keine Anfängerin!“
Reiners Lächeln verschwand. „Um Gottes willen! So war das nicht gemeint. Wir wollen ...“
„Wer ist wir?“, fragte Hedi.
„Eine Gruppe von zehn Studenten aller Fachrichtungen, die sich für Kunst und Kultur interessieren. Wir sind davon überzeugt, dass auch die sogenannten normalen Leute für anspruchsvolle künstlerische Arbeiten zu begeistern sind, wenn sie sie in einem Umfeld präsentiert bekommen, das sie nicht einschüchtert.“
„Kunst als Kulisse für kulinarische Genüsse“, sagte Hedi schmunzelnd.
„Du willst doch wohl diesen Frankfurter Stinkekäse nicht als Genuss bezeichnen!“, rief Vivienne.
„Eine Portion Handkäs mit Musik gehört zu den Dingen, die einen grauen Tag bunt machen“, sagte Hedi.
„Pfui, Teufel!“, rief Vivienne.
Reiner lachte. „Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich Ihnen ein Stückchen mitgebracht.“
Der Junge wurde Hedi sympathisch. Er sah Vivienne an. „Ich freue mich wirklich sehr, dass Sie uns als arrivierte Künstlerin einige Ihrer Werke als Leihgaben zur Verfügung stellen. Schade, dass Ihre Bilder so selten in Ausstellungen zu sehen sind.“
„Meine Kunden leben überwiegend in Japan und den USA.“
„Wie finanzieren Sie das Projekt, wenn Sie alle noch Studenten sind?“, wollte Hedi wissen.
„Die Schankwirtschaft trägt sich hoffentlich selbst, in der Bewirtung wechseln wir uns ab, und die meisten jungen Künstler sind froh, wenn sie kostenlos bei uns ausstellen dürfen.“ Reiner zeigte nach draußen. „Im Übrigen bessere ich meine Haushaltskasse mit Taxifahren auf.“ Er zwinkerte Vivienne zu. „Wenn wir es dann noch ab und zu schaffen, Prominenz zu uns in den Keller zu locken, umso besser.“ Er zeigte auf Viviennes Bild. „Die Farbgebung gefällt mir.“
Vivienne wandte sich lächelnd ihrer Staffelei zu. „Sonne und Himmel, Gold und Saphir: In meiner noch unvollendeten Arbeit Sommermorgen im Wald versuche ich, die Träume der Impressionisten in einen neuen Kontext zu stellen.“
„Das ist Ihnen wirklich gelungen“, sagte Reiner. Er studierte interessiert die blaugelbe Leinwand mit den grünen Kreisen und Vivienne sagte Wörter, die Hedi noch nie gehört hatte.
„Soll ich Kaffee kochen?“, fragte sie. „Oder Tee?“
Durch die offene Tür drang Vogelgezwitscher herein. Irgendwo ratterte ein Traktor.
„Was nun: Kaffee oder Tee?“, wiederholte sie. Niemand antwortete. Kopfschüttelnd verließ sie das Atelier.
„Ich bin sicher, dass Andrea Ihre Bilder mögen wird“, sagte Reiner, als sie später bei einer Tasse Kaffee im Wohnzimmer saßen.
„Andrea?“, fragte Hedi.
Reiner bediente sich aus der Zuckerdose. „Meine Kommilitonin und Verlobte. Was Kunst angeht, haben wir den gleichen Geschmack. Beim Geschirrspülen und Wäschebügeln gibt’s dafür umso mehr Zoff.“ Er sah Vivienne an. „Wenn es Ihnen recht wäre, würden wir gerne morgen Vormittag vorbeikommen, um mit Ihnen zusammen die endgültige Auswahl zu treffen.“
„Ich freue mich“, sagte Vivienne.
Reiner trank einen Schluck Kaffee. „Was ich nicht so recht verstehe ist, warum Sie ausgerechnet Monet als Ihr Vorbild sehen. Ihr Stil ist doch eher expressionistisch als impressionistisch: Fläche, Kontur, leidenschaftlich bewegte Farbe; Darstellung innerer Wahrheit statt äußerer Wirklichkeit ... War nicht genau das ein Credo der Expressionisten um Matisse?“
Vivienne lächelte. „Die Arbeiten von Matisse sind statiös, keine Frage. Aber ich finde nicht, dass man innere Wahrheit mit papageienbunten, aggressiv auf die Leinwand geschleuderten Strichen ausdrücken kann. Die Farbe als orphisches Credo um ihrer selbst willen zu benutzen, wie es die Fauves letztlich taten, widerspricht meiner Sicht der Dinge ganz entschieden.“
„Die ... Wer?“, fragte Hedi.
„Les Fauves, die Wilden.“ Reiner streckte seine langen Beine von sich. „Mit ihren barbarischen Bildern trieben sie nach der vorletzten Jahrhundertwende das gesamte Establishment gutgenährter Kunstkritiker in den Wahnsinn.“
„Monet hingegen brachte uns eine neue Sicht der Dinge bei, die sich auf die natürliche Entwicklung unseres visuellen Organismus beruft, um die
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