Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wassermuehle

Die Wassermuehle

Titel: Die Wassermuehle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikola Hahn
Vom Netzwerk:
Hedi den Tisch ab. Nach einer halben Stunde hatte sie das Gefühl, dass es ihr gelingen könnte, die Unterhaltung sachlich fortzusetzen.
    Vivienne stand vor einer etwa zwei Quadratmeter großen Leinwand, auf die sie abwechselnd gelbe und blaue Ölfarbe aufgetragen hatte. Mit einer Spachtel setzte sie an den Übergängen an und verschmierte die feuchten Farben zu grünschlierigen Kreisen. Lächelnd drehte sie sich zu Hedi um. „Sommermorgen im Wald. Gefällt es dir?“
    „Wann fährst du nach Frankfurt?“
    „Sonne und Himmel, Gold und Saphir – die Träume der Impressionisten. Monets Esszimmer ...“
    „... interessiert mich nicht die Bohne! Ich will wissen, wann du endlich über dein Geld verfügen kannst.“
    Vivienne nahm ein wenig blaue Farbe von der Palette. Ihre Hände und ihr Kittel sahen aus, als hätte die Leinwand abgefärbt. „Was fällt deinem Mann eigentlich ein, hinter mir herzuspionieren?“
    „Bist du aus der Akademie geflogen oder nicht?“
    „Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich meine Studien wegen unüberbrückbarer Meinungsverschiedenheiten mit meinen Lehrern vorzeitig beendet habe.“
    „Du dachtest, du kannst malen, und sie dachten, du kannst es nicht, oder was?“
    Vivienne stiegen Tränen in die Augen. „Du bist widerlich.“
    „Dann erklär’s mir, Himmel noch mal!“
    „Sie achteten den Geist der Farben nicht.“
    „Erzähl keinen Mist.“
    Vivienne fuhr sich mit dem Ärmel übers Gesicht. Ihre Nasenspitze leuchtete blau. „Sie lehrten uns das perfekte Mischen von Baumfarben, Himmelfarben und Fleischfarben; sie dozierten über die Bedeutsamkeit von Ton und Wert und über das Verhältnis von Licht zu Schatten. Aber niemals über deren wahre Farbe, verstehst du?“
    „Nein.“
    „Ich hatte einen Mentor, der Johannes Itten gründlich missverstand.“
    „Wenn du mir sagst, wer Johannes Itten ist, kann ich dir vielleicht folgen.“
    „Ein Schweizer Maler und Grafiker. Er unterrichtete in den 1920er Jahren am Bauhaus allgemeine Gestaltungslehre. Von ihm stammen so wunderbare Sätze wie: Die Farbe gibt sich jedem zum Gebrauch, aber nur dem sie hingebungsvoll Liebenden entschleiert sie ihr tieferes Geheimnis. Oder: Wie sich die Malerei auch entwickeln mag, immer wird die Farbe das wesentlichste Element der Gestaltung sein. Meiner Meinung nach setzte Itten die Farbe eindeutig über die Form, auch wenn seine geometrischen Farbflächenkonstruktionen in den 1960er Jahren die Künstler der Op-Art beeinflussten, die ...“
    „... sich fragten, ob’s Kunst ist oder ob nicht“, sagte Hedi sarkastisch.
    „... die durch Wiederholung geometrischer Abstraktionen optische Illusionen erzeugten. Als Begründer der Optischen Kunst gilt der Pariser Künstler Victor Vasarély, der ...“
    „Du kommst vom Thema ab.“
    „Du wolltest wissen, warum ich gegangen bin.“
    „Rausgeflogen.“
    „Der freie Ausdruck jenseits aller Regeln und Theorien gehört zur inneren Notwendigkeit eines wahrhaftigen Künstlers. Ich zog es vor, mich autodidaktisch weiterzubilden.“
    „Frau von Eschenberg war noch kein einziges Mal hier, um ein Bild von dir abzuholen.“
    „Farbe ist Emotion, Emotion ist Licht, Licht ist Farbe; Farbe transformiert: spirituelle Erfahrung, Energiefelder der Aura et vice versa. Was ich als Künstlerin anstrebe, ist absolute Transformation. Verwandlung ohne jeden Energieverlust: Transsubstantiation! Auf der Leinwand wird das Brot zum Leib, der Wein zu Blut ...“
    „Wie viele Transuppenstationen hat deine Agentin bereits veräußert?“
    „Sie steht in Verhandlungen mit einem Privatsammler in New York.“
    „Steht der Sammler auch in Verhandlungen mit ihr?“
    „Dein Klaus will bloß erreichen, dass du die Mühle verkaufst und reumütig zu ihm zurückkehrst.“
    „Deine komische Agentin hat nicht mal eine Internetseite!“
    „Sowas hat sie nicht nötig.“
    „Genausowenig wie du, oder wie?“
    „Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich meine Arbeiten auf irgendwelchen niveaulosen Online-Plattformen der Beliebigkeit preisgebe! Ich bevorzuge das reale Leben.“
    „Also gut. Dann fahren wir eben morgen zusammen ganz real nach Frankfurt.“
    „Das geht nicht, Hedi! Antoinette wird denken ...“
    „Mir ist herzlich egal, was sie denkt. Hauptsache, sie rückt dein Geld raus. Schickt sie dir eigentlich diese französisch angehauchten Erstsemester vorbei, oder suchst du die selbst aus?“
    „Würdest du mir erklären, was du meinst?“
    „Ich wette, dieser Rainier

Weitere Kostenlose Bücher