Die Wassermuehle
feiern. Lassen Sie mich mit ihr reden, ja?“
„Sie hockt im Wohnzimmer und heult sich die Augen aus dem Kopf.“
„Ich kenne ein paar Anekdötchen, die jeden Regenschauer sofort in Sonnenschein verwandeln. Wetten?“
„Ihr Künstler macht es euch ziemlich einfach.“
Er grinste, suchte drei Bilder heraus und nahm sie mit ins Haus.
Vivienne saß zusammengesunken auf dem Biedermeiersofa und schluchzte in ihr Taschentuch.
„Einen schönen guten Morgen!“, sagte Reiner und stellte die Leinwände nebeneinander an den Wohnzimmerschrank.
Vivienne fuhr hoch und starrte ihn aus kajalverschmierten Augen an. „Wo kommen Sie denn her?“ Ihr Blick wanderte zu Hedi. „Wie kannst du ...!“
„Ihre Freundin ist unschuldig. Ich brauche dringend diese Exponate hier.“
„Und warum?“, fragte Vivienne zaghaft.
„Erinnern Sie sich denn nicht an Ihre Ausstellung in Paris?“
Vivienne schnäuzte sich. „Welche Ausstellung?“
„Ist schon ein Weilchen her. Ich war zusammen mit Monsieur Vincent dort. Ein zeitgenössischer Maler. Vielleicht kennen Sie ihn?“
Vivienne schüttelte den Kopf.
„Der Arme faselte friedlich vor sich hin, und nichts ließ mich das Unglück ahnen, das folgen sollte.“
Hedi und Vivienne wechselten einen verständnislosen Blick. Reiner zeigte auf das rechte von Viviennes Bildern. „Er ertrug sogar den Anblick der Fischerboote beim Verlassen des Hafens ohne größeren Schaden, vielleicht deshalb, weil ich ihn rechtzeitig davor bewahrte, sich darin zu versenken, noch bevor die kleinen widerlichen Figuren im Vordergrund auf ihn einwirken konnten.“
„Herr Kunze! Ich bitte Sie!“, rief Hedi.
Vivienne setzte an, um etwas zu sagen, schwieg aber. Reiner stellte sich neben das mittlere Bild und zog die Stirn in Falten. „Leider war ich so unvorsichtig, ihn zu lange vor dem Boulevard des Capucines stehen zu lassen. Ha ha, lachte er teuflisch, das hier ist ganz gut! Nur sagen Sie mir, was sind diese dunklen Spuckeflecken da unten? Das?, sagte ich. Das, mein Lieber, sind Spaziergänger. Blitz und Donner!, rief Monsieur Vincent. Sehe ich etwa so aus, wenn ich den Boulevard des Capucines hinunterspaziere? Sie machen sich lustig über mich!“
Vivienne betupfte ihre Augen mit dem Taschentuch. Hedi hatte das Verlangen, Reiner einen Backstein an den Kopf zu werfen.
„Ich versicherte dem guten Vincent, dass ich mich bestimmt nicht über ihn lustig machte. Aber diese Flecken da!, rief er. Die hat man so hingesetzt, wie wenn man einen Brunnenstein kalkt! Peng! Zack! Das ist unerhört! Schrecklich! Davon bekommt man ja einen Schlag!“
„Es reicht!“, sagte Hedi.
Er hielt ihr das Bild vors Gesicht. „Jetzt mal ehrlich: Wie würden Sie das nennen? Spaziergänger oder Spuckeflecken?“
„Nun, ich ...“
„Ich wünsche eine ehrliche Antwort, Hedi!“, sagte Vivienne.
„Ich denke, mir fehlt das rechte Verständnis, das zu beurteilen.“
„Monsieur Vincents Lieblingsbild war die Nummer achtundneunzig“, sagte Vivienne.
Reiner grinste. „Sie erinnern sich also doch?“
Vivienne zeigte auf das linke Gemälde. „Impression. Sonnenaufgang.“
Hedi konnte nichts erkennen, das im Entferntesten wie ein Sonnenaufgang ausgesehen hätte. „Und was sagte Monsieur Vincent zu diesem Bild?“
„Was für eine Freiheit! Was für eine Leichtigkeit im Pinselstrich! Eine Tapete im Embryonalstadium sieht bemühter aus als dieses Seestück!“
„Seestück? Aber da ist ja nicht mal so was Ähnliches wie Wasser drauf!“
Reiner und Vivienne fingen an zu lachen. „Le Charivari. Die Ausstellung der Impressionisten, 1874“, sagte Vivienne.
„Imaginärer Dialog mit einem traditionellen Maler. Leicht abgewandelt“, fügte Reiner augenzwinkernd hinzu. „Im Original erstellt von Louis Leroy, weniger bekannt als bildender Künstler, denn als Verfasser satirischer Schmähschriften.“
„Von uns gegangen im Jahre des Herrn 1885“, ergänzte Vivienne.
Reiner sah Hedi an. „Ich habe die Wette gewonnen, oder?“
„Ich finde das nicht im Geringsten witzig!“, entgegnete Hedi. „Ich habe alles, was ich besitze, in dieses Haus gesteckt, und wenn meine Schwägerin nicht schnellstens ihr Geld wiederbekommt, hetzt sie uns eine Horde Gerichtsvollzieher auf den Hals!“
„Entschuldigen Sie“, sagte Reiner betreten.
„Ich spreche mit meiner Agentin“, sagte Vivienne. „Gleich morgen früh. Wo wir gerade bei Monet sind: Wusstest du, dass er von 1864 bis 1870 der am meisten per Gerichtsbeschluss
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