Die Wassermuehle
ist höchstens fünfundzwanzig und hat von Kunst so viel Ahnung wie ich.“
Vivienne fuhr fort, auf der gelbblauen Leinwand grüne Kreise zu produzieren. „Wenn du so sicher bist, dass dein Klaus recht hat, warum hast du ihn dann angebrüllt und aufgelegt?“
„Hast du mich etwa belauscht?“
„Dein Wutausbruch war nicht zu überhören.“
„Ich will endlich die Wahrheit wissen!“
„Dein Klaus erzählt sie dir bestimmt nicht.“
„Er ist nicht mein Klaus!“
„Was hat er noch über mich gesagt?“
„Dass du an zweitklassigen Gemeinschaftsausstellungen teilnimmst.“
Vivienne schleuderte die Spachtel zu Boden. „Das ist ja ungeheuerlich! Was bildet sich dieser arrogante Mistkerl ein?“
„Er ist mein Mann, vergiss das bitte nicht!“
„Wie könnte ich das vergessen? Du bringst keine zwei Sätze über die Lippen, ohne seinen Namen zu erwähnen.“
„Wie konnte es mir je einfallen, mit dir in dieses Haus zu ziehen?“, sagte Hedi wütend.“
„Wie konnte es mir je einfallen, mit dir in dieses Haus zu ziehen!“, giftete Vivienne zurück.
Ein Mercedes mit ausgeschaltetem Taxischild auf dem Dach bog auf den Hof ein. Von der Optik her konnte er es mit Hedis VW-Bus aufnehmen. Der Fahrer parkte sein Gefährt neben Viviennes Cabrio und stieg aus. Er war hochgewachsen, hatte blondes, zu einem Zopf gebundenes Haar und sah aus wie ein abgebrochener BWL-Student.
„Das ist Rainier“, sagte Vivienne.
Hedi verzog das Gesicht. „Da wäre ich im Leben nicht drauf gekommen.“
Vivienne ging wortlos an ihr vorbei zur Tür. Rainier streckte ihr lächelnd die Hände entgegen. „Frau Belrot! Schön, Sie zu sehen.“
Vivienne küsste ihn rechts und links auf die Wange. „Sagen Sie Vivienne, ja?“
„Gern, Vivienne.“ Er sah Hedi an.
„Meine Freundin“, sagte Vivienne. „Hedwig Winterfeldt.“
„Hedi Winterfeldt“, sagte Hedi.
„Reiner Kunze“, sagte Rainier.
Hedi lächelte. „Sie kommen aus Paris?“
„Nö, aus Frankfurt.“
Vivienne hob ihre Spachtel auf und stellte sie in ein Glas mit Verdünnung „Hattest du nicht etwas im Haus zu erledigen, Hedilein?“
„Nachher, Vivi. Sie wollen Bilder ankaufen?“
„Na ja ... Nicht so ganz.“
„Sie sind also kein Kunsthändler?“
„Sehe ich etwa wie einer aus?“
Hedi lachte. „Wenn ich ehrlich bin: nein.“
Viviennes Gesichtsfarbe intensivierte sich um einige Nuancen. „Hedi, ich denke ...“
„Ich bin Student. Kunst und Mathe.“
„Interessante Mischung.“
„Und ich verehre Claude Monet.“
Vivienne sah ihn lächelnd an. „Sind Sie nicht auch der Meinung, dass Monets Impressionen als grandiose künstlerische Übersetzung des Antagonismus der Elementargewalten der summarischen Philosophie eines Zarathustra durchaus ebenbürtig sind?“
„Hat der Ärmste in seinem zitronengelben Esszimmer Prozentrechnung geübt?“, fragte Hedi bissig.
Reiner grinste. „In einigen von Monets Bildern kommen die Prinzipien der Mathematik tatsächlich zum Ausdruck, denn sie vergegenwärtigen den Gedanken, dass die Geometrie seelenlos und die Kräfte der Natur gnadenlos sind.“
„Zum Beispiel in den Mohnblumen bei Giverny“, sagte Vivienne. „Sie sind ein Ausdruck der Hoffnungslosigkeit, der Unerreichbarkeit absoluter Wahrheit und eine Bestätigung der naturwissenschaftlichen Anschauung, dass alle menschlichen Bemühungen letztendlich zwecklos sind.“
„Helen Abbott, Science and Philosophy in Art, 1886“, sagte Reiner.
„Oh“, sagte Vivienne.
Reiner lächelte. „Die Entwicklung der Monet-Rezeption anhand zeitgenössischer Kritiken und Kommentare zu seinem Werk ist mein Steckenpferd. Wir sprachen bereits in Frankfurt darüber.“
„Äh ... ja. Ich erinnere mich.“
Reiner sah Hedi an. „Die Welt der Formeln ist mindestens so geheimnisvoll wie die der Formen und Farben. Vollkommenheit ist eine harmonische Verbindung aus beiden. Ist damit Ihre Frage beantwortet?“
Hedi riss ihren Blick von seinen zerlöcherten Jeans los. „Wo haben Sie Vivienne kennengelernt?“
Vivienne atmete hörbar aus. „Hedi, bitte!“
„Wir trafen uns am Dienstag vergangener Woche zufällig im Georgies . Eigentlich gehe ich in diesen Schickimickischuppen ja nicht rein, aber eine Bekannte von mir hatte ...“
„Reiner will ein Künstlercafé eröffnen und sucht geeignete Exponate als Dauerleihgabe“, sagte Vivienne.
„Café ist nicht ganz der richtige Ausdruck“, sagte Reiner amüsiert. „Wir sind dabei, einen alten Gewölbekeller in
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