Die Wassermuehle
gar nicht.“
„Also gar nicht.“
„Ich glaube nicht, dass es Sinn hat, weiter darüber zu diskutieren“, sagte er und ging.
Hedi war froh, als in der zweiten Januarwoche die Weihnachtsferien zu Ende waren, und Klaus in der dritten zu seinem Lehrgang nach Wiesbaden fuhr. Sie hatte ein paar Tage frei und wollte die Zeit nutzen, um die Wohnung gründlich sauberzumachen, doch sie war lustlos und fühlte sich matt und zerschlagen. Dass Brigitte gekündigt hatte, war schlimm genug, aber dass sie nach mehr als zwölf gemeinsamen Arbeitsjahren im Streit auseinandergehen würden, bereitete ihr schlaflose Nächte. Und was war mit Vivienne? Hedi konnte sich keinen Reim auf ihr Verhalten machen. Ob sie sie auf dem falschen Fuß erwischt oder beim Malen gestört hatte? Jedenfalls hatte sie sich nach ihrem letzten Besuch nicht mehr gemeldet. Und Klaus hatte auch nur einmal angerufen. Wahrscheinlich zog er jeden Abend mit seinen Lehrgangskollegen durch Wiesbaden und amüsierte sich prächtig. Nicht einmal Tante Juliette legte mehr Wert auf ihre Gesellschaft. Und aufs Töpfern konnte sie sich auch nicht länger freuen: Der Kurs war zu Ende, und der neue begann erst wieder im Herbst.
Zur Wochenmitte versuchte Hedi, ihre Depression mit Verena Kinds Roman Das Wahnsinnsweib zu bekämpfen. Auf Seite einhundertzwölf gab sie auf. Erst am späten Freitagvormittag konnte sie sich dazu durchringen sauberzumachen. Sie hatte gerade mit dem Staubsaugen angefangen, als es an der Wohnungstür klingelte. Seufzend schaltete sie den Staubsauger wieder aus und öffnete.
Vivienne trug einen cremefarbenen Bouclémantel und dunkelbraune Stilettostiefel. „Hallo! Ich dachte, ich schau mal auf einen Sprung vorbei.“ Sie lachte. „Deinem Gesicht nach zu urteilen, ist die Überraschung gelungen. Willst du mich nicht hereinbitten?“
Hedi trat zur Seite. „Äh ... entschuldige, aber ich bin beim Putzen.“
Vivienne ging an ihr vorbei in den Flur. „Solange ich dir nicht dabei helfen muss, stört mich das nicht im Geringsten.“ Sie zog den Mantel aus, hängte ihn an die überladene Garderobe und strich über ihr beigebraunes Wollkleid. „Wie findest du mein neuestes Stück?“
Hedi betrachtete Viviennes nackte Arme. „Obenherum ein bisschen luftig für die Jahreszeit, oder?“
„Stell dir vor, René hat mich zum Shopping nach Paris entführt. Es war superb. Und sooo romantisch.“
„Wer ist René?“
„Ich erzähl’s dir bei einer Tasse Kaffee, ja?“ Vivienne ging ins Wohnzimmer und schaute sich neugierig um. Wenn sie über die einfachen Verhältnisse, in denen Hedi lebte, entsetzt war, wusste sie es gut zu verbergen.
Hedi schob den Staubsauger beiseite und sammelte hektisch herumliegende Zeitungen ein. „Willst du dich nicht setzen?“
Vivienne starrte auf die beiden Ölgemälde, die über der Couch hingen. Sie zeigten historische Ansichten von Offenbach und Frankfurt. „Wo hast du die denn her?“
Hedi glaubte, einen verächtlichen Unterton herauszuhören. Ihr gefielen die Bilder. Sie hatte sie vor Monaten als Sonderangebot in irgendeinem Kaufhaus gekauft, aber plötzlich schämte sie sich, das zuzugeben. Sie legte die Zeitungen aufs Sideboard und rollte das Staubsaugerkabel auf. „Meine Kinder haben sie mir zu Weihnachten geschenkt. Und sie bestanden darauf, dass ich sie sofort aufhänge.“
„Du hängst irgendwelche Bilder in deiner Wohnung auf, nur weil deine Kinder das so wollen?“
„Na ja, du verstehst das vielleicht nicht, weil du keine Kinder hast.“
„Gefallen sie dir?“
„Meine Kinder?“
„Die Bilder!“
„Warum?“
„Es interessiert mich.“
„Sie sind ein bisschen kitschig, zugegeben. Aber doch irgendwie auch recht hübsch, oder?“
Vivienne nahm in einem Sessel Platz. „Gefallen sie dir besser als meine Bilder?“
Hedi zuckte mit den Schultern. „Deine Bilder sind, nun ja ... anders. Anspruchsvoller, meine ich. Tiefgründiger sozusagen.“
„Tiefgründiger?“
„Du weißt schon. Die Gefühle im Abstrakten und so.“
„Würdest du eins von meinen Bildern in deinem Wohnzimmer aufhängen?“
„Ich setze schnell Kaffee auf, ja?“
„Würdest du?“, beharrte Vivienne.
„Würdest du Schokoladenmousse mit Pellkartoffeln kombinieren?“
Vivienne deutete lächelnd auf die Stadtansichten. „So schlecht sind die gar nicht. Wie war deine Silvesterparty?“
„Da ist jedes Wort zuviel.“
„Na los! Ich bin neugierig.“
„Wolltest du nicht von René erzählen?“
„Erst bist du
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