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Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)

Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)

Titel: Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Hamilton
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sie gerichtet hatten, denn sie gehörte zu seiner inoffiziellen Familie, der einzigen, die er hatte.
    Sie beugte sich vor und küsste ihn auf die Stirn. »Du hättest wirklich nicht zu kommen brauchen.«
    »Ich wollte dich gern sehen«, sagte er. »Du bist wunderschön wie immer.«
    »Und du jung wie immer.«
    Er schaute sich um. »Hier gefällts mir nicht. Lass uns ins Central Nudeln essen gehen. Ich sage Sonny Bescheid, dass er den Wagen aus dem Parkhaus holen soll.«
    Sie durchquerten die höhlenartige Ankunftshalle, und er fasste sie leicht am Ellbogen. Zwei Hongkonger Polizisten beobachteten sie, während sie sich dem Ausgang näherten. Der ältere der beiden stieß den jüngeren leicht an, und beide nickten Onkel kurz zu. Ava sah aus dem Augenwinkel, wie Onkel den Gruß erwiderte.
    Sonny lehnte am Kotflügel des Wagens, einem brandneuen Mercedes S-Klasse.
    »Was ist aus dem Bentley geworden?«, wollte sie wissen.
    »Ich habe ihn verkauft. Sonny meint, ich müsse mit der Zeit gehen.«
    Solange sie Onkel kannte, war Sonny stets an seiner Seite, und niemand erinnerte sich, dass es je anders gewesen war. Sonny war Onkels Chauffeur und ebenso unauffällig gekleidet wie sein Boss: Er trug einen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd und eine schlichte, schwarze Krawatte. Für einen Chinesen war er ungewöhnlich groß und stämmig gebaut. Trotz seines massigen Körpers war er schnell – tödlich schnell – und konnte, wenn es sein musste, auch brutal sein. Er war einer der wenigen Menschen, die Ava körperlich fürchtete, und nicht gerade gesprächig. Wenn man ihm eine Frage stellte, bekam man eine einsilbige, schnörkellose Antwort. Darüber hinaus schien er keine eigene Meinung zu haben beziehungsweise kein Bedürfnis, sie anderen mitzuteilen.
    Als sie den Wagen erreichten, lächelte Sonny kurz, nahm ihr das Gepäck ab und verstaute es im Kofferraum. Ava setzte sich zu Onkel auf den Rücksitz.
    Bis zum Stadtzentrum war es nicht weit. Der Weg führte über die Tsing-Ma-Brücke, deren obere Etage eine sechsspurige Straße beherbergte, darunter verliefen Bahngleise. Die Hängebrücke raubte Ava jedes Mal den Atem. Sie war anderthalb Kilometer lang und schwebte zweihundert Meter über dem Wasser. Der Ma-Wan-Kanal, der zum Südchinesischen Meer gehörte, glitzerte in der Morgensonne, und die Sampans und Fischerboote schlängelten sich durch eine Armada riesiger Überseefrachter, die darauf warteten, in Hongkongs gewaltigen Containerhafen geschleppt zu werden.
    Als sie den Stadtkern erreichten, stockte der Verkehr, die letzten Ausläufer der morgendlichen Rush Hour. In Hongkong sah man nicht viele Privatautos auf den Straßen. In einer Stadt, wo Büro- und Einzelhandelsflächen zentimeterweise vermietet werden, waren Parkplätze weder leicht zu finden noch billig zu haben, doch es wimmelte nur so von den roten, käferartigen Taxis. Sonny fuhr vorsichtig – zu vorsichtig für Avas Geschmack –, aber er war ein besonnener Mann. Vielleicht nahm er sich auch bewusst zurück. Er schien seinen eigentlichen Charakter zu bändigen, das konnte sie manchmal beobachten, wenn er mit Onkel an Geschäftsbesprechungen teilnahm. Sonny hielt sich etwas abseits und folgte der Unterhaltung, indem er den Blick zwischen den Gesprächspartner hin und her wandern ließ. Ava fiel auf, dass sich seine Körpersprache je nach Gesprächsverlauf änderte. Lief alles nach Onkels Plan, blieb Sonny ruhig, traf er auf Widerstand, wurde Sonny angespannt, und sein Blick verfinsterte sich.
    Das finanzielle und kommerzielle Herz der Hongkonger Sonderverwaltungszone ist in zwei Hauptbezirke unterteilt: Hong Kong Island und Kowloon, dicht besiedelte, städtische Gebiete, verbunden durch den Cross-Harbour-Tunnel und die Star Ferry. Avas Hotel lag auf der Hongkonger Seite, in der Gegend um Central, unweit des Victoria Harbour und nur einen Katzensprung vom Bankenviertel entfernt.
    Sie erreichten das Mandarin Oriental Hotel nach knapp vierzig Minuten. Onkel begleitete Ava hinein und wartete geduldig in der Lobby, während sie eincheckte und das Gepäck aufs Zimmer bringen ließ.
    »Nudeln gibts nur einen Block weiter«, sagte er, als sie sich zu ihm gesellte. »Am besten laufen wir.«
    Ava brauchte immer ein paar Tage, um sich an den Fußgängerverkehr in Central zu gewöhnen – an das Drängeln und Schieben der Menschenmassen, die von einer Straßenecke zur nächsten eilten und in Pulks darauf warteten, zur nächsten Kreuzung zu gelangen, wobei die

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