Die Weimarer Republik
sich gewerkschaftlich organisierten, verhinderte das ihren Abstieg in die Nähe der Arbeiterschaft nicht, stellte sie aber meist besser als die Beamten. Es fand eine deutliche Nivellierung zwischen «Mittelstand» und Arbeiterschaft statt, sodass Ersterem in seiner Lebenshaltung die Abgrenzung gegenüber dem Proletariat erschwert wurde. Verdiente 1913 ein höherer Beamter das Siebenfache eines ungelernten Arbeiters, so 1922 nur noch das Zweifache.
Die politische Bilanz der Inflation war noch dramatischer als die ökonomische. Die Sozialgruppen, die auf der Verliererseite standen (bzw. sich auf der Verliererseite sahen), schrieben die Schuld an ihrer Misere weniger dem Krieg zu, also dem Kaiserreich, sondern vielmehr den Kriegsfolgen, also Revolution und Republik. Denn die Republik war weder bereit, den durch die Inflation bewirkten (relativen) wirtschaftlichen Niedergang dieser Gruppen aufzufangen, noch, den damit verbundenen Statusverlust auszugleichen. Die Inflation schien zu vollenden, was die Revolution eingeleitet hatte: den endgültigen Sieg des industriekapitalistischen Gesellschaftsmodells.
4. Die Konterrevolution
Der konterrevolutionäre Widerstand war auch eine Antwort auf diese drohende fundamentale Richtungsentscheidung. Noch scheiterte er an seiner inneren Zersplitterung in Monarchisten, Jungkonservative, Militär und Adel wie an dem Fehlen einer Massenbasis. Wenn sich die konterrevolutionären Attacken1920 und 1923 an außenpolitischen Ereignissen entzündeten, dann auch in der Erwartung, dass die Revision der Kriegsniederlage eine Revision der aus Niederlage und Revolution hervorgegangenen inneren Ordnung möglich machen würde. Doch war den monarchisch-restaurativen Kräften inzwischen mit der neuen Rechten eine radikalere Konkurrenz erwachsen, die ihre Kraft nicht aus der Nostalgie, sondern aus dem «revolutionären» Impetus einer «alternativen Moderne» bezog.
Unter den potenziell konterrevolutionären Kräften rangierte das alte Offizierskorps an erster Stelle. Die Reichswehrführung hatte im Weltkrieg gelernt, dass der industrielle Krieg nicht gegen die Massen zu führen war. Innere Geschlossenheit und Opferbereitschaft waren nur auf kooperativer Basis erwartbar, die man 1914 Burgfrieden, 1918 Volksgemeinschaft nannte. «Ordnung und Arbeit», «Arbeitszwang» und eine konservativ-patriarchalische Sozialpolitik nach dem Vorbild des Krieges sollten die innere Gesundung als Voraussetzung des äußeren Wiederaufstiegs ermöglichen. Unter dieser Voraussetzung war man bereit, mit der SPD zu kooperieren. Bereits im November 1918 wurden Pläne für einen «Gegenputsch» beim Einmarsch der zurückkehrenden Truppen in Berlin entwickelt, die Groener dem als Diktator vorgesehenen Ebert vortrug. Da dieser weder Ja noch Nein sagte, aber auch keine Konsequenzen zog, wurde das als «nicht ablehnend» gedeutet. Im März 1919 wurden erneut Pläne diskutiert, eine Diktatur mit SPD-Reichswehrminister Noske oder Ebert an der Spitze zu errichten.
Allerdings hatte die Armeeführung Schwierigkeiten, ihre Ordnungsaufgabe in den Unruhen wahrzunehmen, die sie selbst mit provoziert hatte. Es gab kaum zuverlässige Truppen. Nun begann die Zeit der Freikorps, die nach innen und außen Krieg führten: mal auf eigene Faust, mal auf Anforderung der Regierung gegen Räterepubliken, Arbeitermilizen, linke Aufstände und Streiks, gegen Polen, mal als «Fememörder». Die etwa 365 Freikorps mit zeitweilig über 400.000 Mann waren jedoch von sehr unterschiedlichem Charakter: elitäre Offizier-Freikorps, Studentenkorps, Bünde einer Landsknechts-Soldateska oder Freiwilligenverbände für den «Grenzschutz Ost». Vieledieser Verbände bildeten später den Kern der neuen Reichswehr. Ebenso viele stellten den Kern der Wehrverbände auf der politischen Rechten, die um 1920 Hunderttausende erfassten und eine stille Reserve der Reichswehr waren. Sosehr sie 1919/20 von der Reichswehr protegiert wurden, so schwierig waren sie von dieser unter Kontrolle zu halten.
Die Pläne einer Diktatur gewannen an Virulenz, als am 7. Mai 1919 die Friedensbedingungen der Alliierten offiziell übermittelt wurden. Ein großer Teil der Offiziere trat für die Wiederaufnahme der Kampfhandlungen ein. Als der Friedensvertrag nach erbitterten Debatten und Protesten am 28. Juni dennoch unterzeichnet wurde, hatte die Republik in ihren Augen versagt. Putschvorbereitungen vor allem jüngerer Offiziere wurden von der Reichswehrführung unterbunden, da sie
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