Die Weimarer Republik
eingeschränkt werden müssen. Die dann zu erwartende Steigerung der Arbeitslosigkeit war politisch riskant. Die verfügbaren Handlungsoptionen waren jede für sich problematisch. Die Einsetzung eines «Friedensvertrags-Diktators», der den inneren Ausgleich bei der Aufbringung der Reparationen gewährleistete, scheiterte an den Alliierten wie an den deutschen Interessenten. Die Verweigerung der Reparationen hätte eine Wiederaufnahme des Krieges, die totale Besetzung oder die Abspaltung des Rheinlandes nach sich ziehen können. So schien nur der Handelskrieg durch inflationsfinanziertes Dumping übrig zu bleiben. Die kurzfristigen Erfolge führten aber zur Zerrüttung der Währung.
Bis ca. 1920 verlief die deutsche Inflation im europäischen Kontext «normal». Zur Finanzierung des Krieges hatte der Staat Geld geschöpft. Bis 1918 hatte sich die umlaufende Geldmenge um 1000 % vermehrt, während die Gütermenge um 30 % geschrumpft war. Durch Preis- und Lohnstopp war die Inflation zurückgestaut worden, doch hatte die Mark ca. ein Drittel ihres Wertes verloren. Zur Finanzierung der Konjunkturpolitik hielt das Reich an einem gemäßigten Inflationskurs fest, versuchte aber, mit kurzfristigen Erfolgen, durch die Erzberger’sche Steuerreform 1920 die Einnahmen zu steigern. Doch allein die Reparationen verschlangen 1920 20 %, 1921 42 % und 1922 29 % des Reichshaushaltes. Der wachsende Vertrauensverlust in die Mark im In- und Ausland führte zur Flucht in Sachwerte und zum Rückgang der Sparleistung, bis die Mark als Tauschmittel funktionslos wurde. Damit verlor sie auch ihre innenpolitische Aufgabe, durch steigende Nominaleinkommen Verteilungskonfliktezu entschärfen. Schließlich zerrütteten die Kosten des Ruhrkampfes die Währung vollkommen, bis im November 1923 der Höhepunkt der Geldentwertung erreicht war. Am 15. November 1923 erfolgte dann der Währungsschnitt mit der Einführung der Rentenmark, der Umbau des Währungs- und Finanzsystems zog sich noch bis weit in das Jahr 1924 hinein.
Die Inflation führte zu einer enormen Vermögensumschichtung, die den Strukturwandel einer im Umbruch befindlichen Gesellschaft radikal beschleunigte: Sie begünstigte, wenngleich in sehr unterschiedlichem Maße, vor allem die dem industriellen Sektor zugehörigen Sozialgruppen. Hauptgewinner war der Staat, der sich seiner inländischen Kriegsschulden entledigte. Selbst nach der 1925 vorgenommenen Aufwertung der Ansprüche belief sich die Reichsschuld auf nur noch 4,8 Mrd. RM; 1919 hatte sie bei ca. 150 Mrd., am 15. November 1923 bei 191,6 Trillionen RM gelegen. Der zweite Gewinner war die Industrie. Sie hatte ihre kaum besteuerten Kriegsgewinne reinvestiert, und die Inflation tilgte alle Verbindlichkeiten (was die Position der Banken politisch schwächte). Zudem wurden ihr Sonderkonditionen eingeräumt, wie der Zugang zu billigen Reichsbankkrediten oder Devisen. Sie nutzte das zur Kartell- und Konzernbildung, d.h. zur Organisierung ihrer wirtschaftlichen und politischen Marktmacht.
Die Landwirtschaft war ein Kriegsgewinnler, aber überwiegend ein Inflationsverlierer. Dank der Schwarzmarktgewinne und der Geldentwertung hatte sie sich weitgehend entschuldet, konnte aber infolge fehlender Investitionsmöglichkeiten das Barkapital nicht in Sachkapital (z.B. Vieh, Boden) umwandeln, sodass es rasch zu einer neuen Schuldenkrise kam. Der gewerbliche Mittelstand war überwiegend ein Verlierer. Zwar überlebten Handwerk und Handel als Wirtschafts- wie als Sozialgruppen, Teile des Handwerks gar in guter Verfassung. Aber das Handwerk litt unter der gesunkenen Nachfrage, der Handel unter Preiskontrolle und Bewirtschaftungsmaßnahmen sowie der traditionellen Überbesetzung. Hausbesitzer konnten ihre Hypotheken tilgen, doch mangelnde Reparaturmöglichkeiten und Mietpreisbindungen ließen den Wert der Mieten 1923 auf einFünftel des Wertes von 1913 absinken und beeinträchtigten den Substanzerhalt. Hart getroffen waren die Rentiers, die von Geld- und Aktienbesitz lebten. Sie wurden, so wie die Sparer insgesamt, fast durchgängig enteignet.
Die Arbeiter hatten seit Kriegsbeginn reale Einkommenseinbußen hinnehmen müssen. Vieles deutet aber darauf hin, dass sie bis 1920/21 ihr Reallohnniveau einigermaßen halten konnten. Trotz aller Einbußen bedeutete die Hyperinflation keinen anhaltenden Abstieg in ihrer Lebenshaltung, da sie sich aufgrund ihrer Organisationsmacht ihren Anteil sichern konnten. Anders die Angestellten. Obwohl sie
Weitere Kostenlose Bücher