Die Weimarer Republik
machte Hitler über die Grenzen Münchens und Bayerns hinaus bekannt. Die NSDAP konnte sich zwar erst gegen Ende 1922 über Bayern hinaus organisatorisch ausdehnen, dann aber sog sie die anderen rechtsradikalen Grüppchen in sich auf. Sie war eine junge Partei mit relativ breiter sozialer Verankerung und erhielt, wie selbst die KPD 1923 eingestand, «starken Zulauf» von Arbeitern; besonders in Mitteldeutschland liefen organisierte Arbeiter und Mitglieder der freien Gewerkschaften «scharenweise» zu Stahlhelm und NSDAP über.
Hitlers Stunde schien gekommen, als die französische Besetzung des Ruhrgebietes wegen ausgebliebener Reparationslieferungen 1923 zu einer neuen nationalistischen Welle führte. Noch ehe die Regierung Stresemann den Kampf abgebrochen hatte, übernahm Hitler am 25. September die Oberleitung der Kampfbünde und gab die Losung aus: «Nicht gegen die Franzosen, sondern gegen die Novemberverbrecher in Berlin.» Zeitgleich riefen in der Pfalz und im Rheinland separatistische Strömungen «autonome Republiken» aus. In Küstrin putschte eine Zeitfreiwilligenformation der «Schwarzen Reichswehr». Die KPD bereitete auf Anweisung aus Moskau Putschversuche in Sachsen und Thüringen vor, wo sie mit der SPD Volksfrontregierungen einging und ihre «proletarischen Hundertschaften»mobilisierte. Als die Reichsregierung am 23. Oktober die Reichswehr in Sachsen einmarschieren ließ, zog die KPD zurück; nur in Hamburg kam es zu einem erfolglosen Aufstandsversuch. Zwar scheute die Reichswehr vor einem entschlossenen Kampf gegen die Bedrohung aus Bayern zurück; zumindest verhinderte sie aber einen Bürgerkrieg zwischen rechten bayerischen und linken mitteldeutschen Gruppierungen. Auf einer Veranstaltung zum 5. Jahrestag der Revolution im Münchner Hofbräuhaus brachte Hitler den Generalstaatskommissar, den Reichswehrkommandanten und den Polizeichef in seine Hand und verpflichtete sie auf die Unterstützung seines Putsches. Doch trotz mancher Sympathien und Hilfestellungen war ihm nur eine dienende, aber keine führende Aufgabe zugedacht. Der Putsch scheiterte am 9. November im Kugelhagel von Reichswehr und Polizei vor der Feldherrnhalle.
Dass die Republik nach dem Abbruch des passiven Widerstandes im Ruhrgebiet nicht zusammenbrach, verdankte sie erneut dem Bündnis Eberts mit der Reichswehr. Am 9. November 1923, dem fünften Gründungstag der Republik, übertrug der Reichspräsident die Exekutivgewalt an den Chef der Heeresleitung, General von Seeckt. Während Ebert bereit war, nicht nur gegen die KPD, sondern selbst gegen Teile der eigenen Partei Militär einzusetzen, um die Republik zu retten, rettete die Armee zwar die Republik vor den Putschversuchen von KPD und NSDAP, doch nicht um der Republik, sondern um des Reiches und ihrer selbst willen. Aber zum Erhalt des Reiches war sie auf die republikanischen Parteien angewiesen. Zu denen gehörten jetzt auch Teile des nationalen und konservativen Lagers (DVP und DNVP). Die DVP knüpfte unter dem Einfluss von Gustav Stresemann wieder an die Parlamentarisierungspolitik von 1917/18 an, indem sie ihre Vergangenheitsorientierung aufgab und sich «vernunftrepublikanisch» neu orientierte. Diese «ganz große» Koalition von der SPD bis zur DVP unter dem Reichskanzler Stresemann führte am Ende dieser Phase zu einer prekären Konsolidierung der Republik. Eine solche Parteienkonstellation war 1918/19 nicht möglich geworden, obwohl sich seinerzeit eine Kooperation zur Schließung der Revolutionin der Nationalversammlung als möglich angedeutet hatte. Und sie blieb auch 1923 weiterhin zu fragil, um über die notgeborene Zweckkoalition hinaus zur dauerhaften Grundlage der Republik zu werden.
5. Der Kampf gegen den Frieden
Die Außenpolitik der Weimarer Republik stand unter dem Vorzeichen des Kampfes gegen den Versailler Friedensvertrag. Dessen Bestimmungen brachten insgesamt eine bis dahin unbekannt harte, in 434 Artikeln ausdifferenzierte Gesamtbelastung. Das war nur zum Teil auf die unkoordinierte Arbeit der Friedensdelegation zurückzuführen, sondern vor allem auf die widerstreitenden Interessen der Sieger, ihre historischen Vorerfahrungen («Revanche»), ideologischen Vorbehalte («preußischer Militarismus»), ökonomische Konkurrenz, die Sicherung der globalen Positionen gegenüber den USA und innenpolitische Zwänge zur Kompensation der Kriegsfolgen. Aber Deutschland war der Status einer europäischen Großmacht belassen worden. Mit Österreich-Ungarn und
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