Die Weimarer Republik
praktisch am Ende seiner Kräfte sei. Proteste gegen die scharfen Lohnkürzungen sollten den Reparationsgläubigern signalisieren, dies sei «das letzte Opfer des deutschen Volkes für die Erfüllung der Reparationsleistungen». Die Regierung drohte offen mit der Einstellung der Reparationen, indirekt mit der inneren Radikalisierung zugunsten der NSDAP. Die Rechnung ging auf, als der amerikanische Präsident Hoover am 20. Juni 1931 ein einjähriges Moratorium für die deutschen Reparationszahlungen verkündete, um damit die «liberal eingestellten» Kreise in Deutschland, Österreich und Osteuropa zu stützen.
Brünings unerbittliches Festhalten an der rigorosen Deflationspolitik, deren Motive er öffentlich nicht darlegen konnte, ließ ihn immer mehr an Rückhalt verlieren. Für das breite Publikum signalisierte die Verschärfung der Deflationspolitik eine Rat- und Hilflosigkeit der Regierung. Deren erste Beratungen über Wege aus der Krise im Juli/August 1931 blieben ergebnislos. Noch waren die Keynes’schen Entwürfe für eine aktive Konjunkturpolitik nicht bekannt. Aber ähnliche Vorstellungen tauchen ansatzweise seit Januar 1932 auf in einem Gutachten des Reichswirtschaftsrates, in der deutschen Industrie, bei den Gewerkschaften (WTB-Plan) und renommierten Fachleuten, ebenso bei der NSDAP in Strassers «Sofortprogramm»: von Staatsaufträgen und Investitionen der öffentlichen Hand über die Ausweitung des Kreditrahmens für die Wirtschaft bis hin zur künstlichen Geldschöpfung über eine neu zu schaffende (Schein-)Gesellschaft, wie es nach 1933 Schacht mit seinen «Mefo-Wechseln» praktizierte. Doch ein Vorstoß von Reichsarbeitsminister Adam Stegerwald für ein Programm mit einem Volumen von 1,5 Mrd. Reichsmark scheiterte am Widerstand der Reichsbank und dem Zögern des Kanzlers, der erneut den Vorrang der Reparationen betonte. Erst im Mai 1932 wurden Maßnahmen in Höhe von 135 Mio. Reichsmark vom Kabinett gebilligt. Als im Sommer 1932 durch das Reparations-Moratoriumaußenpolitische Rücksichten entfielen, wurden die Mittel um weitere 300 Mio. Reichsmark aufgestockt. Steuergutscheine für die Industrie im Umfang von 1,7 Mrd. Reichsmark und Subventionen in Form von Lohnprämien von 700 Mio. Reichsmark kamen hinzu. Gestützt von einer Senkung des Diskontsatzes von 8 auf 4 %, begannen sich das Geschäftsklima, die Investitionsbereitschaft und die Aktienkurse noch 1932 zu erholen. Am 28. Januar 1933 folgte ein Programm der Regierung Schleicher mit weiteren 500 Mio. Reichsmark.
Diese Versuche zur aktiven Krisenbekämpfung waren in ihrer Dimension nicht ausreichend, auch weil immer wieder, bis in die SPD hinein, das Schreckgespenst einer erneuten Inflation beschworen wurde. Doch zeigten sie, dass die Regierungen keineswegs hilflos waren. Schon bei Antritt der Regierung Hitler waren die ersten positiven Auswirkungen erkennbar: Die Krise hatte ihre Talsohle durchschritten. Es bleibt die Frage offen, ob die Politik Brünings den Verlauf und die Schwere der Krise entscheidend beeinflusst hat. Die massenpsychologische Wirkung, die die NS-Regierung durch ihre Demonstration von Entschlossenheit erzielte, spricht eine andere Sprache. In jedem Fall stärkte Brünings radikale Deflationspolitik die Kräfte, die aus der Krise ihren politischen Profit zogen: KPD und NSDAP.
Beide waren die Parteien der Arbeitslosen, Hoffnungslosen und Verzweifelten. Das Zusammenfallen von struktureller und konjunktureller Arbeitslosigkeit betraf vor allem die industriellen Sektoren der entwickelten Industriestaaten. In Deutschland kamen 1932 von 5,6 Mio. Erwerbslosen 5,1 Mio. aus dem produzierenden Gewerbe. 1918/19 war die Arbeitslosigkeit relativ rasch überwunden worden, die in Deutschland auch damals ca. 6 Mio. Menschen betroffen hatte. Konstant zweistellig blieben die Werte außer in Deutschland für einige Jahre in Skandinavien und England. 1931/32 überschritten Deutschland, Dänemark, Norwegen und Polen die 33-%-Marke; die Niederlande, Belgien, Schweden, England und Österreich erreichten 20–25 %. Der Höhepunkt der Arbeitslosigkeit in Deutschland wurde im Februar 1932 mit 6,13 Mio. Erwerbslosen erreicht. Im Januar und Februar 1933 lag die Zahl unwesentlich darunter. Überalltraf die Arbeitslosigkeit Arbeiter mehr als Angestellte, Ungelernte mehr als Facharbeiter, Frauen mehr als Männer, verheiratete Frauen mehr als unverheiratete, Jugendliche und Ältere mehr als «Familienernährer». Hinzu kamen die geschätzten
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