Die Weimarer Republik
nicht.
Die europäische Deflationskrise von 1920 hatte nicht zu einer vergleichbaren Zuspitzung geführt. Damals hatte der Völkerbund die Stabilisierung verschiedener Währungen übernommen, Deutschland mit seinem inflationsfinanzierten Rekonstruktionsboom 1920/21 für Nachfrage auf dem Weltmarkt gesorgt. Mitte der 20er-Jahre intervenierten die USA durch eine politische Lösung der Reparationskonflikte sowie die Kreditierung dieses Ausgleichs. Nach 1929 fehlte nicht nur ein Moderator auf der internationalen Ebene, die Staaten reagierten aus innen- wie außenpolitischen Erwägungen auch anders als 1920. Damals war der Wille zur Stabilisierung nicht zuletzt innenpolitisch motiviert, um eine Machtergreifung der Linken zu verhindern. 1929 hatte sich die Akteursszene grundlegend gewandelt: durch den Verlust der politischen Mitte, die Kämpfe um die Finanzierung der Sozialpolitik sowie die Folgen der forcierten Industrialisierung in den neuen Staaten Osteuropas. Jetzt zielte die Politik nicht auf Stabilisierung, sondern auf Revision durch Destabilisierung. Wirtschafts-, Handels- und Finanzpolitik wurden zur Waffe in nationalen wie internationalen Verteilungskonflikten. Die Krise wäre kaum zu verhindern gewesen; aber Prestigedenken, nationaler Egoismus und politische Nebenziele verschärften ihre Tiefe und Dauer.
Die Ursachen der Stagnation waren vielfältig. Die USA, vor 1914 zur größten Volkswirtschaft aufgestiegen, zogen sich in eine ökonomische Selbstgenügsamkeit zurück, blieben aber weltwirtschaftlich so dominierend, dass ihre Krise die Weltkrise auslöste. In Europa führten der Wirtschaftskrieg zwischen Siegern und Besiegten sowie der Wirtschaftsnationalismus besonders (aber keineswegs nur) der Schwellenländer Osteuropas zur Zerrüttung der nationalen wie internationalen Finanz- und Währungssysteme sowie zur Einschränkung der Handelsbeziehungen. Durch den Krieg war der Anteil Europas am Welthandel stark geschrumpft und erreichte erst 1928 wieder das Vorkriegsniveau, er sank aber in der Krise stärker als der Welthandelinsgesamt. Deutschland und England erreichten den Vorkriegsanteil am Welthandel von 13 bzw. 15 % nicht wieder; der deutsche betrug 1927/29 nur noch 9 %. Die wirtschafts- und finanzpolitische Lehre der Zeit trug dazu bei, zur Wiedergewinnung des Goldstandards Kaufkraft und Investitionspotenzial zu vernichten. Zudem hatten sich die politischen Rahmenbedingungen verändert: nicht nur durch den Machtzuwachs der Arbeiterbewegung, sondern auch durch den noch offenen Strukturentscheid zwischen Industriekapitalismus und Landwirtschaft. Das alles provozierte einen Zielkonflikt zwischen Investitionen und Konsum, zwischen der Subvention traditioneller Branchen und der Finanzierung moderner Sozialpolitik, zwischen Autarkiebestrebungen und liberaler Handelspolitik. Die Indikatoren eines allgemeinen Strukturwandels nationalen und globalen Wirtschaftens wurden weniger ökonomisch als politisch und kulturell gedeutet: die Industrialisierung als Verlust der Werte- und Sozialordnung des von Landwirtschaft und agrarischen Eliten geprägten 19. Jahrhunderts, die Abhängigkeit vom Weltmarkt als Verlust der nationalen Souveränität, der Aufstieg der USA und neuer Konkurrenten als Verlust der globalen Dominanz Europas.
Da Mitte der 1920er-Jahre konjunkturelle Schwankungen an der Tagesordnung waren, wurden die ersten Krisenzeichen in Deutschland unterschätzt. In manchen Branchen blieben Auftragslage und Auslastung bis 1929, gar bis 1930 relativ gut. In Erwartung eines neuen Aufschwunges waren vor 1929 Überkapazitäten geschaffen worden. Viele dieser Investitionen wurden mit ausländischem, vor allem amerikanischem Kapital finanziert, das in großem Maße abgezogen wurde, als in den USA am «Schwarzen Freitag» im Oktober 1929 eine Spekulationsblase platzte. Eine zweite Welle des Kapitalabzuges erfolgte, als der Wahlsieg der NSDAP in den Reichstagswahlen vom September 1930 das Misstrauen in die Stabilität der Republik schürte. Eine dritte Welle folgte nach dem Zusammenbruch der Österreichischen Kreditanstalt im Mai 1931, der auch in Deutschland eine Bankenkrise auslöste. Der Export erfuhr harte Einbußen, da die Folgewirkungen dieser Krise(n) zu immer weiteren Restriktionenim internationalen Devisen- und Warenverkehr führten. Die hoch organisierten und kartellisierten Branchen spielten ihre Marktmacht auf dem Binnenmarkt aus. Dagegen konnte die Verbrauchsgüterindustrie ihre Kosten nicht über den
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