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Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Surowiecki
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Homogenität zu zahlen haben, besteht in dem spürbaren Druck zu Konformität, dem ihre Mitglieder oft ausgesetzt sind. So etwas scheint der problematischen Wirkung von Gruppendenken ähnlich, ist jedoch in Wahrheit etwas ganz anderes. Wenn ein Druck zu Konformität am Werk ist, dann ändert eine Person ihre Meinung nämlich nicht, weil sie wirklich anderer Überzeugung wird, sondern weil es ihr leichter fällt, die eigene Meinung zu ändern, als die Gruppe herauszufordern. Den klassischen und bis auf den heutigen Tag definitiven Nachweis für die Macht von Konformität liefert ein Experiment, das Solomon Asch durchführte: Asch bildete mehrere Gruppen, die beurteilen sollten, welche von drei Linien die gleiche Länge wie die Linie auf einer weißen Karte hätte. Die Gruppen bestanden aus jeweils sieben bis neun Personen. In allen Gruppen gab es ein Versuchssubjekt, die übrigen Mitglieder waren ins Experiment eingeweiht und verhielten sich (was jedem Versuchssubjekt nicht bekannt war) wie Bundesgenossen des Experimentierers. Asch platzierte das Versuchssubjekt ans Ende der Reihe und forderte sodann zunächst alle anderen auf, ihre Meinung zu äußern. Bei den ersten zwei Karten votierten alle Mitglieder der Gruppe gleich. Bei der dritten Karte aber ließ Asch seine jeweiligen Komplizen behaupten, die Linie der einen Karte, die eindeutig nicht von der gleichen Länge war wie die Linie auf der weißen Karte, sei gleich lang. Mit anderen Worten: Das Versuchssubjekt hörte, wie alle anderen im Raum etwas als Wahrheit ausgaben, was – für diese Person klar erkennbar – nicht die Wahrheit war. Das löste erwartungsgemäß Verwirrung aus. Die ahnungslosen Versuchssubjekte verdrehten den Kopf, um die Linie aus anderem Blickwinkel zu betrachten. Sie erhoben sich von ihren Plätzen, um die Linien aus größerer Nähe zu mustern, und machten nervöse Witze, ob sie vielleicht Gespenster sähen.
    Der springende Punkt des mehrfach durchgeführten Experiments: Eine signifikante Anzahl der Versuchssubjekte schloss sich der Gruppenmeinung an, indem sie Linien, die offensichtlich länger oder kürzer waren als die Linie auf der weißen Karte, für gleich lang erklärten. In der überwiegenden Dauer der Experimente sagten die Versuchssubjekte, was sie wirklich dachten, 70 Prozent von ihnen änderten ihre Meinung jedoch mindestens einmal, und ein Drittel der Versuchssubjekte schloss sich wenigstens die meiste Zeit über der Meinung der Gruppe an. Als Asch sich anschließend mit ihnen unterhielt und sie über das Experiment aufklärte, gaben die meisten als Beweggrund für ihr Verhalten den Wunsch an, mit der Masse zu gehen. Es war keineswegs so, dass sie tatsächlich glaubten, die fraglichen Linien seien gleich lang. Sie hatten sich nur deshalb so verhalten, um nicht ins Abseits gerückt zu werden.
    Asch zeigte noch einen weiteren wichtigen Umstand auf: Während Menschen bereit sind, wider besseres Wissen konform zu gehen, bedarf es andererseits gar nicht viel, sie zu bewegen, damit aufzuhören. In einer Variante des Experiments ließ Asch beispielsweise einen Komplizen auftreten, der, statt mit der Gruppe zu gehen, die Karte mit der Linie bezeichnete, die in ihrer Länge tatsächlich der Linie auf der weißen Karte entsprach, das heißt, er stellte sich auf die Seite des Versuchssubjekts. Und das reichte schon, die Situation drastisch zu verändern. Die Anwesenheit einer einzigen Person in der Gruppe, die so empfand wie das Versuchssubjekt, gab diesem den Mut, zum eigenen Urteil zu stehen. Die Konformitätsquote sank.
    Schlussendlich liegt die Bedeutung von Diversität nicht bloß darin, dass sie eine Gruppe um neue Perspektiven bereichert. Sie macht es dem einzelnen Mitglied auch leichter zu sagen, was es wirklich denkt. Wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, ist Meinungsunabhängigkeit sowohl ein maßgebliches Ingrediens kollektiv weiser Entscheidungen als auch etwas, das besonders schwer intakt zu halten ist. Weil Diversität solche Unabhängigkeit in der Meinungsäußerung bewahren hilft, ist ohne sie eine kollektiv weise Gruppe unmöglich zu erlangen.

DRITTES KAPITEL
    Affe sieht was, Affe macht es:
Über Nachahmung, Informationskaskaden und Unabhängigkeit

1
    Im frühen 20. Jahrhundert stieß der amerikanische Naturforscher William Beebe im Dschungel von Guyana auf eine seltsame Szenerie. Er sah ein Heer von Treiberameisen, die sich in einem riesigen Kreis bewegten, dessen Linie rund 370 Meter betrug. Eine Ameise

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