Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
mag – seine Empfehlungen und Prognosen sollten, um das Beste aus ihnen herauszuholen, immer mit denen anderer Personen koordiniert werden (je größer die Gruppe, desto verlässlicher ihr Urteil). Und das heißt ebenfalls: Das »Jagen nach dem Experten«, die Suche nach dem Einzigen, der für die Probleme des Unternehmens Lösungen parat hat, ist pure Zeitvergeudung. Wir wissen, dass die Entscheidung der Gruppe auf die Dauer besser sein wird als die individuelle der meisten Gruppenangehörigen und dass sie sich von Entscheidung zu Entscheidung verbessert. Die Qualität von Expertenentscheidungen unterliegt dagegen enormen Schwankungen, je nachdem, mit welchem Problem sie sich zu befassen haben. Es ist demzufolge unwahrscheinlich, dass ein Einzelner über einen längeren Zeitraum bessere Leistungen erbringt als die Gruppe.
Nun ist es durchaus möglich, dass eine kleine Zahl wahrer Experten existiert – also Menschen, die konsistent bessere Urteile abgeben als eine verschiedenartig zusammengesetzte informierte Gruppe. Als ein Beispiel sei da gleich der Finanzier Warren Buffett genannt, der den S&P-500-Index seit den sechziger Jahren beständig übertroffen hat. Doch auch da haben wir ein Problem: dass nämlich, selbst wenn solch höhere Wesen existieren, es gar nicht leicht wäre, sie zu identifizieren. Denn Leistungen, die in der Vergangenheit erbracht wurden – so wird uns zu Recht immer wieder gesagt -, bieten keine Gewähr für entsprechende Leistungen in der Zukunft. Im Übrigen gibt es dermaßen viele Möchtegern-Experten, dass es eine nahezu unlösbare Aufgabe darstellt zu unterscheiden zwischen solchen, die einfach bloß Glück gehabt haben, und tatsächlichen Koryphäen. Es wäre zumindest eine Aufgabe, die unendlich viel Geduld erfordern würde: Wenn man sichergehen will, dass ein erfolgreicher Finanzmanager den Markt aufgrund seines Talents und nicht etwa wegen einer Glückssträhne oder falschen Bemessungsgrundlage übertrumpft, würde man Daten über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte benötigen. Und: Falls eine Gruppe so unintelligent ist, dass sie ohne den richtigen Experten nicht vom Fleck kommt, ist schwer zu begreifen, wieso diese Gruppe dann intelligent genug sein sollte, einen wahren Experten zu erkennen – so sie denn überhaupt einen ausfindig machte.
Wir gehen für gewöhnlich davon aus, dass Experten sich irgendwie zu erkennen geben; dass sie ihre Existenz und ihre Kompetenz durch besondere Selbstgewissheit anzeigen. So funktioniert das jedoch nicht. Seltsamerweise sind sich Experten ihrer Fähigkeiten auch nicht sicherer als gewöhnliche Menschen, womit gesagt sein soll: Sie haben ein ebenso übersteigertes Selbstbewusstsein wie alle übrigen Menschen auch – allerdings auch nicht mehr. Zum andern besteht zwischen dem Selbstvertrauen und der Leistung von Experten nur eine geringe Korrelation. Etwas zu wissen und zu wissen, dass man es weiß, sind offenbar zweierlei.
Wenn dem aber so ist, dann stellt sich die Frage: Warum klammern wir uns an die Vorstellung, dass der richtige Experte uns retten wird? Und warum ignorieren wir die Tatsache, dass ein gutes Resultat herauskommt, wenn wir einfach nur den Mittelwert der Schätzungen in einer Gruppe errechnen? Richard Larrick und Jack B. Soll erklären es so, dass wir dem Durchschnittsdenken intuitiv misstrauen. Wir setzen es gleich mit Verdummung oder einem Sich-Einlassen auf Kompromisse. Werden Menschen vor die Wahl gestellt, einen Experten aufzuspüren oder aber Ratschläge bruchstückhaft von mehreren Experten einzuholen, so versuchen sie lieber, den besten Experten zu finden als einfach, quer durch die Gruppe, den Durchschnitt zu ermitteln. Ein weiterer Grund liegt gewiss in unserer Annahme, dass wahre Intelligenz nur Individuen gegeben und es darum entscheidend ist, die richtige Person – den einen richtigen Berater, den richtigen Geschäftsführer – zu finden. In gewissem Sinne ist die Menge für ihre eigene Weisheit blind. Und schließlich sondern wir Experten aus, weil wir uns – wie sich der Schriftsteller Nassim Taleb ausdrückte – »vom Zufall hinters Licht führen lassen«. Soll heißen: Wenn es nur eine hinreichende Anzahl Leute gibt, die Entscheidungen fällen, werden einige von ihnen im Laufe der Zeit natürlich eine beeindruckende Bilanz aufweisen. Solch eine Bilanz muss aber nicht unbedingt aufgrund von Tüchtigkeit zustande gekommen sein – genauso wenig, wie sich eine derartige Bilanz auf die Zukunft projizieren
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