Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
gegenüber den »New England Patriots«. Denn sie hatten eines der schlagkräftigsten Sturmteams in der Geschichte der National Football League, befanden sich in 18 verschiedenen Kategorien an der Spitze der League und hatten ihre Gegner während der regulären Saison mit einem Punkteverhältnis von insgesamt 503 zu 273 hinter sich gelassen. Bei dem anstehenden Super-Bowl-Match schien ihr Sieg von vornherein festzustehen.
Das erste Viertel der Spielzeit war zur Hälfte vorüber, als die »Rams« ihre erste große Offensive starteten, bei der sie von der eigenen 20-Yard-Linie zur Linie 32 der »Patriots« vorrückten. Beim vierten möglichen Versuch (Down), zehn Yards Raumgewinn zu erzielen, hatte Martz seine erste große Spielentscheidung zu treffen. Es war eine günstige Situation, da seiner Mannschaft nur drei Yards bis zur Endzone fehlten. Statt vorzupreschen, schickte Martz dann jedoch seinen Feldtor-Kicker Jeff Wilkins los, dem ein erfolgreicher Kick gelang. Die »Rams« führten mit 3 zu 0 Punkten.
Sechs Minuten später war Martz mit einer ähnlichen Situation konfrontiert, nachdem der Sturm der »Rams« an der 34-Yard-Linie im Feldbereich der »Patriots« auf Zeit gespielt hatte. Die »Rams« brauchten noch fünf Punkte für ein First Down. Martz entschied sich wiederum dafür, sein Kickerteam loszuschicken. Diesmal landete Wilkins’ Kick jedoch weit links daneben...
Nach NFL-Maßstäben hatte Martz richtig entschieden. Bei der Wahl zwischen einem möglichen Field Goal und einem möglichen First Down werden NFL-Trainer fast immer für das Field Goal optieren. Die konventionelle Trainerweisheit lautet: Sichere dir Punkte, wann immer du kannst. (Wir werden bald sehen, dass »konventionelle Weisheit« nicht mit »kollektiver Weisheit« identisch ist.) Die Entscheidungen von Martz entsprachen also der konventionellen Weisheit – und waren doch beide Male die falschen gewesen..
Diesen Schluss würde man zumindest im Lichte einer Arbeit von David Romer ziehen. Romer lehrt Wirtschaftswissenschaften in Berkeley und fasste vor vier Jahren den Beschluss zu erforschen, was denn wirklich der beste Fourth Down ist. Es waren zwei Varianten dieses Problems, die Romer interessierten. Erstens wollte er herausbekommen, wann es sinnvoll ist, einem First Down nachzujagen, statt auf das Kicken eines Field Goal zu setzen. Und zweitens wollte er wissen, wann es – wenn man sich bereits innerhalb der gegnerischen 10-Yard-Linie befindet – sinnvoll ist zu versuchen, den Ball durch Laufen oder mit einem Pass in die gegnerische Endzone zu bringen, statt ein letztes Field Goal zu kicken. Mit einer mathematischen Methode namens »dynamic programming« analysierte Romer nahezu alle Matches – es waren insgesamt 700 – der NFL-Spielzeiten 1998, 1999 und 2000. Anschließend ermittelte er die Bedeutung von jedem First Down an jeder Position des Spielfeldes. Ein First-and-Ten auf der eigenen 20-Yard-Linie war für eine Mannschaft etwas weniger als einen halben Punkt wert – anders formuliert: Wenn eine Mannschaft vierzehnmal von der eigenen 20-Yard-Linie startete, erzielte sie jedes Mal durchschnittlich nur ein Touchdown. Ein First-and-Ten im Mittelfeld war etwa zwei Punkte, ein First-and-Ten auf der gegnerischen 30-Yard-Linie drei Punkte wert und so fort.
Danach rechnete Romer aus, wie oft Mannschaften, die beim Fourth Down auf den Gewinn einer neuen Serie von vier Downs (Versuchen) setzten, damit Erfolg gehabt hatten. Anders gesagt: Wenn man ein Fourth-and-Three auf der gegnerischen 30-Yard-Linie hatte, kannte er die Wahrscheinlichkeit, dass man ein First Down schafft, falls man es wagt. Und Romer wusste auch, wie wahrscheinlich es war, dass man ein Field Goal erzielte. Von da an war es ein Leichtes, die zwei Spielweisen zu vergleichen: Wenn ein First Down auf der gegnerischen 29-Yard-Linie drei Punkte wert war und man eine sechzigprozentige Chance hatte, das First Down zu schaffen, betrug der zu erwartende Wert eines tatsächlichen Sturmspiels 1,8 Punkte (3 x 0,6). Ein Versuch, von der 31-Yard-Linie ein Field Goal zu erreichen, war dagegen kaum mehr als einen Punkt wert. Folglich hätte Martz ein First Down versuchen müssen.
Das Schöne an der Analyse Romers ist, dass sie so umfassend ist. Es ist schließlich nicht nur der potenzielle Gewinn von drei Punkten, der in Rechnung gestellt werden muss, wenn man ein 52-Yard-Goal zu erzielen sucht. Man muss vielmehr auch das Faktum berücksichtigen, dass im Fall eines Misserfolgs die
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