Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
lässt. Noch einmal: Was uns in die Irre führt, ist nicht etwa das Bemühen, gescheite Leute zu finden, sondern vielmehr der Drang, den Gescheitesten zu finden.
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Wenn für eine gute Entscheidungsfindung eine Diversität des Erkennens essentiell ist, so liegt es zum Teil daran, dass individuelles Urteilen unzureichend präzise oder konsistent ist. Diversität erweitert, wie wir gesehen haben, den Rahmen möglicher Lösungen und gestattet es Gruppen, Probleme auf neuartige Weise zu erfassen. So stellt es sich von der positiven Seite her dar. Man kann ihre Bedeutung aber auch von einer anderen Seite her beleuchten, die weniger tatsachenbezogene Entscheidungen als das Einwirken von Einflüssen, Autoritäten und Gruppenloyalität betrifft. Homogene Gruppen – vor allem kleine homogene Gruppen – fallen, um einen von Irving Janis verwendeten Begriff zu verwenden, oft dem »Gruppendenken« zum Opfer. In einer Detailstudie über außenpolitische Desaster der USA – darunter die Schweinebucht-Affäre und das Versagen, den japanischen Überfall auf Pearl Harbor vorauszusehen – gelangte Janis zu folgendem Resultat: Wenn Entscheidungsträger mentalitäts- und weltanschauungsmäßig einander zu ähnlich sind, werden sie leicht ein Opfer des Gruppendenkens. Denn homogene Gruppen werden eher zusammenstehen als divers zusammengewürfelte und ihre Mitglieder mit wachsendem Zusammenhalt gruppenabhängiger, von externen Meinungen abgeschotteter und deshalb überzeugter, dass das Gruppenurteil in wichtigen Fragen das richtige sein muss. Solche Gruppen sind Janis zufolge charakterisiert durch die Illusion ihrer Unverwundbarkeit, durch die Bereitwilligkeit, mögliche Gegenargumente zur Gruppenposition wegzurationalisieren, und durch eine Überzeugung, dass ein davon abweichendes Denken nichts bringt.
Nehmen wir den Fall der Schweinebucht-Invasion: Hier entwarf und setzte die Kennedy-Regierung ihre Strategie in die Tat um, ohne wirklich irgendjemanden zu Rate zu ziehen, der einer Aussicht auf einen Erfolg skeptisch gegenüberstand. Die Personen, die die Operation planten, waren dieselben Personen, die ihren voraussichtlichen Erfolg oder Misserfolg zu beurteilen hatten. Die wenigen Personen in ihrer Mitte, die zur Vorsicht mahnten, wurden rasch zum Schweigen gebracht. Erstaunlicherweise wurde zudem weder die CIA noch die Kuba-Sektion des Außenministeriums konsultiert. Das Resultat: ein geradezu groteskes Außerachtlassen elementarer Fakten über das Land Kuba von 1961, einschließlich der Popularität Fidel Castros in der kubanischen Bevölkerung, der Stärke der kubanischen Armee und selbst der Größe der Insel. (Die Invasion wurde in der Annahme geplant, dass 1200 Soldaten ausreichen würden, ganz Kuba zu besetzen.) Bei der US-Regierung herrschte sogar die Meinung vor, der Welt vorgaukeln zu können, dass die Vereinigten Staaten mit der Invasion nichts zu tun hätten – obwohl die amerikanische Beteiligung in Guatemala (wo die Exilkubaner militärisch von den USA ausgebildet wurden) ein offenes Geheimnis war.
Der entscheidende Punkt beim Gruppendenken liegt darin, dass es abweichende Meinungen nicht so sehr zensiert als dass es sie irgendwie unwahrscheinlich erscheinen lässt. Der Historiker Arthur Schlesinger jr. beschrieb diesen Umstand folgendermaßen: »Unsere Sitzungen fanden in einer merkwürdigen Atmosphäre vermeintlicher Übereinstimmung statt.« Selbst wenn zunächst kein Konsens, sondern nur der Anschein eines Konsenses besteht, wirkt sich der Zusammenhalt der Gruppe dahingehend aus, den Anschein zur Realität werden zu lassen und in diesem Prozess alles zu zerstreuen, was Mitglieder der Gruppe an Zweifeln hegen mögen. Und solch ein Prozess verläuft umso intensiver, wenn die Mitglieder der Gruppe von vornherein eine Grundeinstellung teilen. Weil Informationen, die eine Infragestellung der konventionellen Weisheit darstellen könnten, entweder ausgeschlossen oder als offenkundig falsch wegrationalisiert werden, werden die einzelnen Mitglieder durch die Diskussion in ihren Vorstellungen bestärkt und mehr denn je überzeugt sein, Recht zu haben. Beratungen im Zeichen von Gruppendenken haben den beunruhigenden Effekt, das Bewusstsein der Teilnehmer nicht zu erweitern, sondern zu verschließen. Unter diesem Blickwinkel legt Janis’ Arbeit den Schluss nahe, dass die Chancen für eine gute Entscheidung in einer homogenen Gruppe auch im günstigsten Fall gering sind.
Ein augenfälliger Preis, den Gruppen für
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