Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
sondern geben ihre Marken etwa zur Hälfte in den gemeinsamen Topf. Wenn Teilnehmer feststellen, dass andere es mit Trittbrettfahren versuchen, sinkt die Beitragsquote allerdings von Runde zu Runde. Am Ende verhalten sich zwischen 70 und 80 Prozent der Spielteilnehmer als Trittbrettfahrer, sodass die Gruppe als Ganzes ärmer dasteht, als sie müsste.
Fehr und Gächter schlagen eine Klassifizierung nach drei Kategorien vor. 25 Prozent der Menschen sind egoistisch: Sie handeln also, rein ökonomisch gesehen, als permanente Schnorrer rational. (Das entspricht ungefähr dem Prozentsatz der Personen, die im Ultimatum-Spiel als Vorgeber Niedrigangebote machen.) Eine verschwindende Minderheit verhält sich altruistisch und steuert von Anbeginn stark und unbeirrbar zum Gemeinschaftstopf bei, auch wenn die anderen schnorren. Die größte Gruppe aber setzt sich aus nur bedingt Kooperationswilligen zusammen, die anfangs wenigstens einen Teil ihres Reichtums gemeinnützig investieren, damit jedoch Schluss machen, wenn sie merken, dass andere nur »abstauben«. Die meisten Gemeinwohl-Spiele gehen so aus, dass nahezu alle bedingt Gutwilligen ihre Kooperation einstellen.
Der Schlüsselfaktor sämtlicher auf Gemeinnutz ausgerichteten Systeme besteht folglich darin sicherzustellen, dass die bedingt Gutwilligen die Kooperation nicht aufkündigen. Das lässt sich nur bewerkstelligen, wenn Sorge getragen wird, dass diese Menschen sich nicht wie ausgebeutete Trottel vorkommen. Fehr und Gächter haben diesen Sachverhalt dadurch nachweisen können, dass sie die Regeln ihres Gemeinwohl-Spiels ein wenig verschoben, indem sie nach jeder Runde bekannt gaben, was jedes einzelne Mitglied der Gruppe zum Gemeinschaftstopf beigesteuert beziehungsweise ihm vorenthalten hatte. Auf diese Weise wurden die Schnorrer bloßgestellt. Doch nicht nur das: Sie mussten auch noch Einbußen hinnehmen. Für ein Drittel vom Wert einer Marke konnte den Schnorrern eine Marke weggenommen werden. Dabei ereignete sich zweierlei: Erstens zahlten die Leute, um die Übeltäter abzustrafen – obwohl das wiederum aus ökonomischer Sicht irrational war. Und zweitens kamen die Schnorrer danach zur Vernunft und begannen ihren fairen Anteil einzuzahlen. Das ging so weit, dass die ursprünglichen Schnorrer es auch in den letzten Runden des Spieles so hielten, als für sie insofern kein Anlass zu Beiträgen in die öffentliche Kasse bestanden hätte, weil ihnen nun keinerlei Strafmaßnahmen mehr drohten.
Wenn es ums Lösen des kollektiven Problems geht, Menschen zum Zahlen ihrer Steuern zu bewegen, kommt es also auf dreierlei an: Erstens müssen sie in gewissem Maße ihren Nachbarn vertrauen und glauben, dass diese sich generell rechtens verhalten und allen vernünftigen Verpflichtungen nachkommen. Menschen mit größerem Vertrauen dieser Art neigen, wie der Politikwissenschaftler John T. Scholz entdeckt hat, eher dazu, ihre Steuern zu zahlen und Steuerbetrug als falsch zu empfinden. In Verbindung damit kommt es, zweitens, auf Vertrauen auf die Regierung an, das heißt auf ein Vertrauen darauf, dass die Regierung die von uns eingebrachten Steuergelder klug und im Interesse der ganzen Bevölkerung einsetzt. Es kann eigentlich nicht verwundern, dass John T. Scholz ebenfalls feststellte: Personen, die der Regierung in diesem Sinne vertrauen, sind glücklicher (oder jedenfalls weniger unglücklich), Steuern zu zahlen.
Erforderlich ist, drittens, ein Vertrauen darauf, dass der Staat die Steuersünder aufspüren und zur Rechenschaft ziehen wird und es ihm gelingt zu vermeiden, Unschuldige zu bestrafen. Das Gesetz allein kann Menschen nicht zur Kooperation bewegen; es vermag aber dazu beizutragen, dass die Kooperation gelingt. Falls Menschen der Auffassung sind, dass Schnorrer – Personen, die keine Steuern zahlen, trotzdem aber alle Vorteile eines Lebens in den USA genießen – geschnappt werden, wird es ihnen leichter fallen (oder jedenfalls weniger schwer fallen), Steuern zu zahlen. Sie werden selbst auch, und das ist kein Zufall, eher nicht betrügen. Das öffentliche Ansehen des Fiskus kann also großen Einfluss auf das Verhalten der nur bedingt Zustimmenden haben. Der Chef der Criminal Division des IRS, Mark Matthews, war sich völlig im Klaren darüber, dass eine erfolgreiche Fahndung nach Steuersündern nicht bloß von der Zahl der ertappten Betrüger abhängt, sondern auch von dem öffentlichen Eindruck der Arbeit seiner Abteilung. »Es gibt eine Gruppe von Menschen, die
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