Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Surowiecki
Vom Netzwerk:
Kommission des US-Senats aus, »handelte es sich um rechtschaffene Geschäftsleute und Freiberufler.« Ein typischer Fall war der Unternehmer Mark Vicini aus New Jersey, Eigentümer und Geschäftsführer der Computerfirma Micro Rental and Sales – ein hochgeachtetes Mitglied der Gesellschaft, das für den College-Besuch von Verwandten aufkam und großzügige Spenden an wohltätige Organisationen leistete. Doch im Zeitraum von 1991 bis 1994 hatte Vicini neun Millionen Dollar auf die Cayman-Inseln transferiert, von denen er sechs Millionen gegenüber dem Fiskus verschwieg und auf diese Weise zwei Millionen an Steuern sparte (wofür er sich allerdings nach einem diesbezüglichen Geständnis eine fünfmonatige Gefängnisstrafe einhandelte.)
    Doch waren nicht nur die Klienten von Mathewson die Missetäter. Die neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts waren hinsichtlich der Unterschlagung von Steuern eine Boomzeit. Gegen Ende des Jahrzehnts besaßen zwei Millionen US-Bürger Kreditkarten von Off-Shore-Banken; 15 Jahre zuvor hatte es dergleichen nicht gegeben. Jetzt boten Gründer – oft nutzten sie das Internet, um ihre betrügerischen Tricks zu vermarkten -, Riesenrenditen, wobei sie mit »geschichteten Fonds«, »Off-Shore-Kapitalschutz-Fonds« und »verfassungsmäßig sauberen Fonds« warben. Eine kleine, aber hartnäckig operierende (und geistig beschränkte) Gruppe von Steuerhinterziehern machte andern gegenüber sogar Reklame, dass Steuern sowieso nicht zu zahlen wären, da der Kongress nie ein entsprechendes Einkommensteuergesetz verabschiedet hätte. Und natürlich feierten auch die üblichen alten Steuertricks – »doppelte« Buchführung, den eigenen Tätigkeitsbereich als Wohltätigkeitsverein oder als Religionsgemeinschaft zu deklarieren, um dann alle persönlichen Unkosten als Wohltätigkeitsbeiträge abzubuchen – fröhliche Urständ. All diese Machenschaften hatten eine bedeutsame Schattenseite: Sie waren illegal. Nach groben Schätzungen sind dem amerikanischen Staat durch sie bis zum Ende des Jahrzehnts jährlich 200 Milliarden Dollar Einnahmen entzo _gen worden.
    Die überwiegende Mehrheit der US-Bürger ließ sich auf solche Methoden nie ein. Sie zahlten auch weiterhin ehrlich Steuern und erklärten bei Umfragen, dass es nicht richtig sei, bei Steuern zu schwindeln. Das enorme Anwachsen von dergleichen Machenschaften sowie der Eindruck, dass sie erfolgreich betrieben wurden, mussten jedoch beim Durchschnittsamerikaner Zweifel an der Gerechtigkeit des Steuersystems wecken – Zweifel, die ganz gewiss angesichts der wachsenden Komplexität des Steuersystems noch bestärkt wurden. Es ist zunehmend schwerer geworden zu verstehen, welcher Steuersatz eigentlich gerecht oder fair ist. Dazu trugen in den neunziger Jahren ferner die Steuerschutzmaßnahmen für Unternehmen bei, die in diesem Sektor zu einem rasant »ansteigenden, nicht mehr akzeptablen Grad von Steuerhinterziehungen« führten, um eine Erklärung des US-Finanzministeriums aus dem Jahr 1999 zu zitieren. Die Überschrift eines Artikels aus dem Jahr 2001 im Magazin Forbes stellte ganz offen eine Frage, die sich nicht wenige Amerikaner längst selber stellten: »Sind Sie noch bei Trost?«
    Wieso ist das alles in unserem Zusammenhang von Belang? Weil die Entrichtung von Steuern ein klassisches Exempel für die Lösung eines Kooperationsproblems darstellt. Aus den Dienstleistungen, die mit Steuermitteln finanziert werden, ziehen alle Bürger Nutzen. Das Militär soll uns beschützen; in den Schulen werden nicht nur unsere eigenen, sondern auch anderer Leute Kinder ausgebildet. (Dass sie zu mündigen Bürgern heranwachsen, die dann zum Sozialprodukt beitragen und uns so im Alter unterstützen, liegt in unser aller Interesse.) Auf diese Weise stehen die öffentlichen Verkehrswege, die Polizei, eine Berufsfeuerwehr und eine Grundlagenforschung für wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt zur allgemeinen Verfügung – darunter natürlich auch manches, das man persönlich möglicherweise gar nicht braucht oder als unbedingt wünschenswert empfindet. Alles in allem müssen deren Vorteile die Kosten wohl überwiegen; sonst hätten wir gewiss niedrigere Steuern. Die Sache hat allerdings einen Haken: Man kann diese Dinge auch dann beanspruchen, wenn man keine Steuern zahlt. Denn für die meisten vom Staat bereitgestellten Güter und Dienstleistungen gilt ja, dass sie, wie die Ökonomen sagen, »nicht ausschließbar« sind – soll heißen: Sie

Weitere Kostenlose Bücher