Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Surowiecki
Vom Netzwerk:
ging so weit, dass kein einziger Regionalsender die Dienstleistung abonnierte, als Nielsen im Großraum Boston im Jahr 2002 »people meter« einführte. Die Lokalstationen waren der Ansicht, es sei für sie günstiger, gar nichts über ihre Einschaltquoten zu erfahren, als sich auf die Zahlen des »People-meter«-Systems stützen zu müssen.
    Das Weiterbestehen der »sweeps« bezeugt ein Problem kollektiven Handelns. Es demonstriert aber auch noch ein anderes Problem: die Gefahren, die sich ergeben, wenn eine Gruppe sich ihr Verhalten von einer eigennützigen Fraktion aufzwingen lässt. Wäre die Finanzierung eines Systems zur Erfassung der lokalen Einschaltquoten seit jeher von den großen Programmsendern und der Werbeindustrie mitgetragen worden, so hätten sie zur Veränderung des Systems einen Hebel in der Hand. Stattdessen tanzen sie nun nach der Pfeife der lokalen Zweigstationen.
    So bietet das Fernsehen ein deprimierendes Bild – mal ganz abgesehen von Joe Millionaire und dem Anblick Michael Jacksons. Es wird hier in Zukunft bestimmt zu Veränderungen kommen. Angesichts der wachsenden Bedeutung des Kabelfernsehens wirkt das Merkbuch-System zunehmend wie ein Relikt. Wie 2003 angekündigt, wird Nielsen in den zehn wichtigsten Fernsehmärkten der USA »people meter« installieren. Es mutet dennoch seltsam an, dass sich eine Branche mit zig Milliarden Dollar Jahresumsätzen über einen solch langen Zeitraum einer rückständigen, fehlerhaften Technologie bedient, nur weil die Hauptbeteiligten sich nicht auf ein kooperatives Vorgehen zu verständigen wussten. Der öffentliche Aufstand gegen Richard Grasso ist ein Beispiel für viele erfolgreiche Lösungen von Kooperationsproblemen. Unbewältigte Kooperationsprobleme sind häufig ein Indiz für das entgegengesetzte Phänomen: Die Hauptakteure der Fernsehindustrie mögen jeder für sich allein clever gewesen sein. Insgesamt jedoch, als Kollektiv, haben sie sich wie Esel verhalten.

7
    John Mathewson hatte kaum Erfahrung, nicht viele Kunden und nur ein kursorisches Verständnis vom Bankengeschäft, als er 1986 auf den Cayman Islands die Guardian Bank and Trust Company gründete. Auf seine Weise war er jedoch ein Visionär. Er begriff, dass viele Amerikaner auf einem Haufen Geld saßen, das sie dem Fiskus verheimlichen wollten, und dass diese Amerikaner dafür zu zahlen bereit wären, wenn er, Mathewson, garantieren konnte, dass solches Kapital dem Zugriff des Internal Revenue Service (IRS) – der US-Steuerbehörde – entzogen bliebe.
    Mathewson war ihnen also zu Diensten. Er zeigte seinen Kunden, wie man im Ausland Briefkastenfirmen eröffnen konnte. Über ihre Einlagen vermochte der Internal Revenue Service nie etwas in Erfahrung zu bringen. Und Mathewson gab seinen Kunden Lastschriftenkarten, mit denen sie überall in den Vereinigten Staaten Zugriff auf ihre Konten bei seiner Guardian Bank and Trust Company hatten. Er verlangte hohe Gebühren für seine Dienste – 8000 Dollar für eine Kontoeröffnung, 100 Dollar für jede finanzielle Transaktion; es schien die Kunden nicht zu stören. Zum Zeitpunkt seines geschäftlichen Höhepunkts beliefen sich die Einlagen auf 150 Millionen Dollar, und Mathewson hatte 2000 Kunden.
    Mathewson verließ die Cayman-Inseln 1995 nach einer Auseinandersetzung mit einem dortigen Regierungsbeamten und zog nach San Antonio, um ein Leben im Ruhestand zu genießen. Lang hat es nicht gewährt: Binnen weniger Monate nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten wurde er wegen Verdachts der Geldwäscherei in Untersuchungshaft genommen. Nun war Mathewson ein alter Mann, er wollte nicht ins Gefängnis und hatte für seine Freiheit eine wertvolle Gegenleistung anzubieten: die verschlüsselten Bankdaten aller Depotinhaber des Guardian Trust. Also machte er mit dem Internal Revenue Service einen Deal. Er bekannte sich schuldig (und wurde zu fünf Jahren Gefängnis auf Bewährung plus 500 Stunden Sozialdienst verurteilt). Dafür gab er der amerikanischen Regierung seine gesamten Kenntnisse über Möglichkeiten des Steuerbetrugs preis.
    Eine Information Mathewsons war besonders aufschlussreich: Off-Shore-Banken wurden mittlerweile keineswegs nur mehr von Drogenhändlern und Geldwäschern benutzt, sondern auch von zahlreichen Amerikanern, die ihr Geld auf ehrliche Weise verdient hatten, dafür jedoch einfach keine Steuern mehr entrichten wollten. »Bei den meisten Klienten [des Guardian Trust]«, so sagte Mathewson im Jahr 2003 vor einer

Weitere Kostenlose Bücher