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Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Surowiecki
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versucht sein könnten, sich auf solche Schwindeleien einzulassen, und diese Gruppe könnte den Anlass geben, dass die aggressive Steuerplanung zu aggressiv wird«, erklärte Matthews. »Wir müssen sie deshalb frühzeitig davon überzeugen, dass es sich nicht auszahlt. Die Aufgabe meiner Abteilung besteht zu einem großen Teil darin, dafür zu sorgen, dass die Bürger vom Funktionieren des Systems überzeugt sind.«
    Es ist eine kollektive Aufgabe, die Bürger zum Steuerzahlen zu bewegen. Das Ziel ist bekannt: Jeder soll seinen fairen Anteil an Steuern beitragen. (Damit ist natürlich noch keineswegs gesagt, was in diesem Zusammenhang »fair« bedeutet.) Doch wie kann dieses Ziel erreicht werden? Das amerikanische Modell – ein im globalen Vergleich erfolgreiches Modell, denn trotz der heftigen Antisteuern-Rhetorik in den USA hinterziehen die Amerikaner wesentlich weniger Steuern als beispielsweise die Europäer – lässt erkennen: Wenngleich Gesetze und Regulierungen in der Ermunterung zum Steuerzahlen eine Schlüsselrolle spielen müssen, reüssieren sie nur bei einer Basisbereitschaft der Bevölkerung, zum Gemeinwohl beizutragen. Eine breite Teilnahme der Bevölkerung an der Entrichtung von Steuern bedeutet, dass das System zumindest in einem vagen Sinn funktioniert. Solch eine Akzeptanz kann sich freilich nur über einen längeren Zeitraum bilden, indem die Bürger – die ihre Steuern möglicherweise zunächst lediglich aus Furcht vor Strafverfolgung zahlten – den wechselseitigen Nutzen des Steuerzahlens erkennen und es als Norm akzeptieren.
    Man kann es auch anders ausdrücken: Ein erfolgreiches Steuersystem bewirkt, dass Steuern ehrlich gezahlt werden. Und solch eine positive Rückbeeinflussung ist, würde ich behaupten, in den meisten erfolgreichen kooperativen Anstrengungen am Werk. Das Geheimnis des Kooperierens besteht darin – hier hatte Olson Recht -, dass es eigentlich rational wäre zu schnorren. Dennoch ist jede florierende Gesellschaft im Kleinen wie im Großen von einem kooperativen Verhalten ihrer Mitglieder durchdrungen. Dabei geht es nicht nur um die offenkundigen Beispiele wie etwa Spenden für Wohltätigkeitsorganisationen, sich an den Wahlen zu beteiligen oder Streikposten zu beziehen – all das ist natürlich ein exemplarisch kooperatives Verhalten -, sondern dies zeigt sich auch an subtileren Beispielen: Arbeiter könnten sich vor ihren Verpflichtungen drücken, ohne dafür bestraft zu werden; eine gründliche Überwachung wäre viel zu aufwändig; sie tun es trotzdem nicht; oder Gäste, die Kellnerinnen selbst in weit vom eigenen Wohnort entfernten Restaurants Trinkgelder geben. Wir können solche Handlungsweisen analysieren und ihre Entstehungsgeschichte aufzeigen. Ihrem Wesen nach, in ihrem Kern sind sie jedoch nicht ableitbar beziehungsweise auf andere Faktoren zurückzuführen. Und dieses irreduzible Phänomen konstituiert den Unterschied zwischen einer Gesellschaft und einer Horde von Menschen, die zufällig zusammenleben.

ZWEITER TEIL

SIEBTES KAPITEL
    Der Verkehr: Koordinationsversagen

1
    In Londons City herrschte 2002 ein sozusagen ewiger Verkehrsstau. In das gut 321 Quadratkilometer große Zentrum dieser Weltstadt strömten an einem gewöhnlichen Werktag eine Viertelmillion PKWs, die dort mit einer Million Pendlern ins Gemenge kamen, die mittels öffentlicher Verkehrsmittel einfluteten. Die City von London kennt keine langen, geraden, breiten Boulevards. Die Straßen sind dort großenteils enge, gewundene Gassen. Sie drückten die durchschnittliche Verkehrsgeschwindigkeit auf etwa 15 Stundenkilometer, an besonders schlimmen Tagen auf fünf Kilometer pro Stunde. Da kam man schneller zu Fuß voran – ohne dabei übermäßig ins Schwitzen oder aus der Puste zu geraten.
    Die Verkehrssituation lag dermaßen im Argen, dass ausgerechnet der Londoner Oberbürgermeister – Ken Livingstone, ein in der Wolle gefärbter Sozialist – sich für ein Vorhaben stark machte, das die kapitalistisch denkenden Ökonomen begeisterte. Das Mautsystem wurde im Februar 2003 eingeführt. Wer mit dem Auto zwischen sieben und 18.30 Uhr in die Innenstadt fuhr, hatte fünf Pfund Sterling zu entrichten. Wer die Gebühr zu zahlen versäumte und das Pech hatte, dass das Nummernschild seines Wagens von einer der 230 dort installierten Videokameras erfasst wurde, musste 80 Pfund Strafe zahlen. Die Maut sollte der Stadt jährlich 180 Millionen Pfund für Investitionen in die öffentlichen Verkehrsmittel

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