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Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Surowiecki
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vorangetrieben worden, wo oftmals, wenngleich keineswegs immer, ein eher systematisierter Arbeitsstil mit Zielvorgaben und Kontrollen an der Tagesordnung war. In der ganzen Wissenschafts- und Technologiegeschichte war solch eine hierarchisch-bürokratisch dominierte Forschung jedoch eher die Ausnahme als die Regel. Im Allgemeinen waren die Forscher (zumindest die etablierten unter ihnen) sich selbst überlassen; sie konnten selbst bestimmen, welche wissenschaftlichen Interessen sie verfolgen wollten, wie sie die Dinge angingen und wie sie ihre Resultate auswerteten.
    Damit soll wiederum nicht gesagt sein, dass die Entscheidungen von Wissenschaftlern in kindlicher Unschuld getroffen werden. Es betritt ja kein Forscher sein Labor als unbeschriebenes Blatt, als blutiger Laie beim puren Warten auf das, was die Resultate dann zufällig ergeben. Er beginnt seine Arbeit vielmehr als jemand, dessen Vorstellungen darüber, welche Aufgaben interessant sind, welche er lösen könnte und welche er lösen müsste, durch die Interessen (im Doppelsinn des Wortes) der Gesellschaft geprägt worden sind, der er angehört. Und da ein beträchtlicher Teil der Forschung seit jeher mit Regierungsgeldern oder über Stipendien beziehungsweise Zuschüsse finanziert wird, die von Forschungsgremien bewilligt werden, ist ein Wissenschaftler in seiner Ausrichtung direkt und konkret gar nicht selten durch die Interessen von Kollegen beeinflusst. Dennoch bleibt eines entscheidend: So etwas wie ein »Wissenschaftszar« existiert in der wissenschaftlichen Forschung nicht. Und zumindest in den Ländern des Westens bauen wir darauf, dass in der Wissenschaft Individuen, die in eigenem Interesse handeln, kollektiv mehr zuwege bringen, als es bei zentral von oben diktierten Vorgaben möglich wäre.
    Nun ist es für Forscher aber gar nicht so leicht, ihren individuellen wissenschaftlichen Neigungen und Interessen nachzugehen – sehr viel schwieriger jedenfalls, als man gemeinhin glaubt. Denn sie stehen zwar miteinander in einem Wettbewerb um Anerkennung und Aufmerksamkeit. Die gewünschte Anerkennung beziehungsweise Aufmerksamkeit kann ihnen aber nur von eben jenen Kollegen zuteil werden, mit denen sie im Konkurrenzverhältnis stehen. Die Wissenschaft bietet uns also das Paradox eines Sektors, der zugleich extrem durch Wettbewerb und durch Kooperation geprägt wird. Die Suche nach Anerkennung gewährleistet einen unentwegten Zufluss unterschiedlichster Denkansätze, denn mit Umformulierungen bereits bekannten Wissens ist Berühmtheit da nun einmal nicht zu erlangen. (Wodurch die Auswirkungen der unter Wissenschaftlern besonders hoch entwickelten Neigung zur Beobachtung der Interessen von Kollegen um ein Beträchtliches abgeschwächt werden, denn das Streben nach Eigenständigkeit setzt Forscher natürlich unter Druck, von konventionellen Denkwegen abzuweichen.) Im Übrigen begünstigt die Wettbewerbsmentalität die Eliminierung fehlerhafter Hypothesen, weil – so der Philosoph David Hull – man sich mit einem Nachweis von Fehlern in der Beweisführung von Kollegen einen Namen machen kann. Entscheidend bleibt aber trotz allem: Solcher Wettbewerb ist nur auf der Basis eines hohen Niveaus von kooperativem Verhalten denkbar. Wissenschaftler, die in einer Abschottung gegenüber den Arbeiten ihresgleichen mit Erfolg forschen, sind wahrlich eine Seltenheit.
    Diese so einmalige wie erfolgreiche Melange von Kooperation und Wettbewerbsdenken ist nur dank des eigentümlichen Ethos der Wissenschaft zustande gekommen – eines Ethos, das öffentlichen Zugang zu allen Informationen stipuliert. Es geht zurück auf die Anfänge der naturwissenschaftlichen Revolution im 17. Jahrhundert. Im Jahr 1665 gab die Royal Society in London, eine der frühesten Gesellschaften zur Förderung der Wissenschaften (und die zweifelsfrei bedeutendste von allen), die erste Nummer ihrer Zeitschrift Philosophical Transactions heraus. Es war gewissermaßen der Zeugungsakt der modernen Naturwissenschaft. Diese Zeitschrift initiierte nämlich den Gedanken, demzufolge alle neuen Entdeckungen kostenfrei eine größtmögliche Verbreitung finden müssen. Herausgeber war Henry Oldenburg, der Sekretär – nach heutigem Sprachgebrauch: Geschäftsführer – der Royal Society. Er hatte als Erster die Idee, dass Geheimhaltung dem wissenschaftlichen Fortschritt schadet. Oldenburg vermochte die Wissenschaftler seiner Zeit zu überzeugen, dass es in ihrem eigenen Interesse läge, für ihre Erkenntnisse

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