Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
von einer bemerkenswerten Leistung erfahren, ganz selbstverständlich die Frage: Wer steht dahinter? Wer hat nun eigentlich den SARS-Erreger entdeckt? Die Frage ist jedoch unmöglich zu beantworten. Wir kennen den Namen der Person, die als Erste den Coronavirus aufspürte – eine Amerikanerin namens Cynthia Goldsmith, die im Labor des Center for Disease Control and Prevention in Atlanta tätig war. Es wäre jedoch falsch, einfach zu behaupten, dass Cynthia Goldsmith den Coronavirus als Ursache von SARS erkannt hätte, denn es hatte wochenlangen Forschens in Laboratorien der ganzen Welt bedurft, um nachzuweisen, dass Menschen überhaupt schwer am Coronavirus erkranken. In dem Zusammenhang ist ferner darauf hinzuweisen, dass sogar die zahlreichen Untersuchungen von großer Bedeutung gewesen waren, die andere Viren als SARS-Erreger ausschlossen; durch sie war ja die ursprünglich lange Liste von möglicherweise relevanten Viren verkürzt worden. Letztendlich wurde die Ursache von SARS nicht von einem einzelnen Forscher ermittelt. Diese großartige Leistung ist vielmehr, wie der WHO-Bericht über die Suche nach dem Virus festhielt, einer Gruppe von Labors, die den Coronavirus »kollektiv... entdeckten«, zu verdanken. Ohne solch eine Kooperation hätte jede einzelne dieser Forschungsstätten zur Isolierung des richtigen Virus mit großer Wahrscheinlichkeit Monate, wenn nicht gar Jahre benötigt. Gemeinsam brauchten sie dafür nur ein paar Wochen.
Was den Erfolg dieser Kooperation von Labors zu etwas so Besonderem macht: Da gab es keine Chefetage. Zwar ist das Netzwerk durch die Weltgesundheitsorganisation initiiert worden. Was das einzelne Labor zu tun hatte, an welchen Gewebeproben oder Viren es Forschung treiben sollte und auf welche Weise alle miteinander ihren Informationsaustausch organisierten – das wurde jedoch von keiner höheren Stelle vorgeschrieben. Die Labors gingen auf die Empfehlung ein, sämtliche einschlägigen Daten miteinander zu teilen und täglich miteinander zu kommunizieren; darüber hinaus lag es ganz an ihnen, ob die Zusammenarbeit funktionierte. Man ließ sich von der Idee leiten, dass die Labors sich auf den besten Weg einer Arbeitsteilung einigen würden. Nun ja, diese Regelung war in gewisser Weise aus einer Not geboren: WHO hat keine Befugnis, Universitätsoder Regierungslabors irgendwelche Anweisungen zu erteilen. In diesem Fall wurde aber aus der Not eine Tugend gemacht: Die Labors vermochten sich ohne eine koordinierende Spitze bemerkenswert gut selbst zu organisieren. Dank der besonderen Projektumstände hatte jedes Labor die Freiheit, sich auf die nach eigener Auffassung aussichtsreichste Richtung zu fokussieren und die eigenen analytischen Stärken ins Spiel zu bringen, gleichzeitig aber – und das in Realzeit – die Früchte der Befunde und Analysen aller anderen Labors zu ernten, mit dem Ergebnis: Diese zusammengewürfelte multinationale Allianz fand die Lösung des Problems ebenso schnell und effizient (wenn nicht schneller), wie es irgendeine hierarchisch aufgebaute Organisation hätte schaffen können.
Nach der Größe des Problems und der Geschwindigkeit zu urteilen, mit der es gelöst wurde, war das SARS-Forschungsprogramm einmalig. Aus anderem Blickwinkel bietet es allerdings einfach nur ein prägnantes Beispiel für die heutige Arbeitsweise der Wissenschaften. In der Volksmeinung sind die Wissenschaften noch immer eine Domäne verschrobener Genies, von denen jedes für sich in einem hermetisch abgeriegelten Labor vor sich hin experimentiert. In Wahrheit bilden sie mittlerweile ein Gemeinschaftsunternehmen. Bis zum Ersten Weltkrieg war Kooperation unter Forschern relativ selten. Hier setzte in der Zwischenkriegszeit ein Wandel ein. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs nehmen Teamwork und Gruppenprojekte rapide zu. Heute arbeiten Forscher – insbesondere experimentelle Forscher – überwiegend in größeren Gruppen. Es ist keine Seltenheit mehr, dass wissenschaftliche Abhandlungen von zehn bis zwanzig Autoren gemeinsam verfasst und publiziert werden. (In den Geisteswissenschaften dagegen ist die Einzelverfasserschaft nach wie vor die Regel.). Ein Paradebeispiel war die Entdeckung des Quantenteilchens »top quark« im Jahr 1994: Sie wurde anlässlich ihrer Bekanntgabe 450 Physikern zugeschrieben.
Warum kooperieren nun Wissenschaftler? Es geschieht teils wegen der so genannten »kognitiven Arbeitsteilung«. Mit der zunehmenden Spezialisierung und Auffächerung der
Weitere Kostenlose Bücher
Inherit the Dead Online Lesen
von
Jonathan Santlofer
,
Stephen L. Carter
,
Marcia Clark
,
Heather Graham
,
Charlaine Harris
,
Sarah Weinman
,
Alafair Burke
,
John Connolly
,
James Grady
,
Bryan Gruley
,
Val McDermid
,
S. J. Rozan
,
Dana Stabenow
,
Lisa Unger
,
Lee Child
,
Ken Bruen
,
C. J. Box
,
Max Allan Collins
,
Mark Billingham
,
Lawrence Block