Die Weisheit des Feuers
Erleichterung, endlich einem anderen Menschen dabei zuzuschauen, wie er die gleiche schreckliche Last schultern musste, die Murtagh bereits sein ganzes Leben lang trug.
Ganz gleich, ob das nun stimmte oder nicht, Eragon vermutete, dass Murtagh seine neue Rolle aus demselben Grund annahm, aus dem ein Hund, der grundlos geprügelt wird, sich eines Tages gegen seinen Herrn wendet und ihn anfällt. Murtagh hatte wieder und wieder Prügel einstecken müssen, und nun hatte er die Gelegenheit, es einer Welt heimzuzahlen, die ihm nicht die geringste Güte entgegengebracht hatte.
Doch egal, was noch an Gutem in Murtaghs Herzen verborgen sein mochte, er und Eragon waren dazu verdammt, Todfeinde zu sein, denn Murtaghs in der alten Sprache geleisteter Treueschwur kettete ihn mit unzerstörbaren Banden an Galbatorix - in alle Ewigkeit.
Hätte er nur nicht Ajihad bei der Jagd nach den Urgals unter Farthen Dûr begleitet. Oder wenn ich nur ein bisschen schneller gewesen wäre, hätten die Zwillinge
...
Eragon,
sagte Saphira.
Er riss sich zusammen und nickte, dankbar für Saphiras Ermahnung. Eragon bemühte sich nach Kräften, nicht ständig über Murtagh oder ihre gemeinsamen Eltern zu grübeln, aber die Gedanken überfielen ihn oft gerade dann, wenn er am wenigsten damit rechnete.
Eragon nahm einen tiefen Atemzug und ließ die Luft langsam ausströmen, um einen klaren Kopf zu bekommen. Dann versuchte er, sich wieder auf die Gegenwart zu konzentrieren, aber es gelang ihm nicht.
Am Morgen nach der gewaltigen Schlacht auf den Brennenden Steppen - als die Varden sich neu formierten, um die Truppen des Imperiums zu verfolgen, die sich den Jiet-Strom entlang auf dem Rückzug befanden - hatte Eragon Nasuada und Arya aufgesucht, ihnen Rorans Situation geschildert und um Erlaubnis gebeten, seinem Cousin zu helfen. Er bekam sie nicht. Beide Frauen sprachen sich vehement dagegen aus, und Nasuada bezeichnete den Plan gar als »undurchdachte Torheit, die im Falle eines Scheiterns für alle in Alagaësia katastrophale Folgen haben würde!«
Die Diskussion zog sich so lange hin, dass Saphira sie schließlich mit einem Aufbrüllen beendete, das die Wände im Zelt der Varden-Anführerin erbeben ließ. Dann sagte die Drachendame:
Ich bin verwundet und müde. Und Eragon hat die Sache viel zu umständlich erklärt. Wir haben Besseres zu tun, als wie Dohlen herumzukreischen, findet ihr nicht?... Gut, dann hört jetzt mir zu.
Es war schwierig, einem Drachen zu widersprechen.
Im Detail waren Saphiras Ausführungen komplex, aber die zugrunde liegende Struktur ihres Vortrags war leicht nachzuvollziehen. Saphira unterstützte Eragon, weil sie begriff, wie viel ihm die geplante Mission bedeutete. Eragon wiederum unterstützte Roran, weil er wusste, dass der auch ohne ihn Katrinas Fährte folgen würde und dass sein Cousin auf sich allein gestellt nicht gegen die Ra’zac bestehen konnte. Und solange das Imperium Katrina gefangen hielt, wäre Roran - und dadurch auch Eragon - anfällig für Galbatorix’ Erpressungsversuche. Falls der Tyrann drohte, Katrina zu töten, würde Roran nichts anderes übrig bleiben, als dessen Forderungen zu erfüllen.
Deshalb wäre es doch am klügsten, diese Schwachstelle in ihrer Verteidigungslinie zu beseitigen, bevor ihre Feinde sich diesen Vorteil zunutze machten.
Und der Zeitpunkt für die Rettungsaktion sei denkbar günstig, erklärte Saphira. Weder Galbatorix noch die Ra’zac würden mit einem Überfall im Herzen des Imperiums rechnen, während die Varden nahe der Grenze zu Surda gegen Galbatorix’ Truppen kämpften. Man hatte Murtagh und Dorn in Richtung Urû’baen davonfliegen sehen, wo sie sich zweifellos ihrer Bestrafung stellen mussten. Nasuada und Arya waren mit Eragon einer Meinung, dass Murtagh und sein Drache danach vermutlich nach Norden weiterziehen würden, um dort Königin Islanzadi und die von ihr befehligte Elfen-Streitmacht zu bekämpfen, sobald diese ihre Gegenwart offenbarte und zuschlug. Außerdem wäre es klug, die Ra’zac möglichst schnell zu eliminieren, bevor sie anfingen, die Krieger der Varden zu terrorisieren und zu demoralisieren.
Dann wies Saphira höchst diplomatisch darauf hin, dass, falls Nasuada ihre Autorität als Eragons Lehnsherrin in die Waagschale werfen und ihm den Einsatz verbieten würde, es ihre Beziehung mit Groll und Unmut vergiften könnte, was womöglich der Sache der Varden schaden würde.
Aber,
sagte Saphira,
es ist deine Entscheidung, Nasuada. Wenn
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