Die Weisheit des Feuers
bis die Familie sich von der Schmach reingewaschen hat, die ihr Sohn ihnen durch seine Feigheit angetan hat. Es tut mir leid, dass du so eine verachtenswerte Tat mitansehen musstest, Eragon.«
»Es ist niemals schön mitzuerleben, wie jemand Schande über sich bringt.«
Während der nächsten beiden Runden saßen die drei schweigend da, dann erschreckte Orik Eragon, als er ihn unvermittelt an der Schulter packte. »Hättest du Lust, dir einen steinernen Wald anzuschauen, Eragon?«
»So etwas gibt es doch gar nicht. Außer er wurde gemeißelt.« Orik schüttelte den Kopf, seine Augen blitzten. »Er ist nicht gemeißelt und es gibt ihn. Also noch einmal, hättest du Lust, dir einen steinernen Wald anzuschauen?«
»Falls das kein Scherz ist... ja, natürlich habe ich Lust.«
»Ah, das freut mich. Ich scherze nicht, und ich verspreche dir, dass wir morgen zwischen Bäumen aus Granit wandeln werden, bevor wir nach Farthen Dûr weiterziehen. Der steinerne Wald ist eines der großen Wunder des Beor-Gebirges. Jeder, der beim Dûrgrimst Ingietum zu Gast ist, sollte Gelegenheit haben, ihn zu besuchen.«
Am nächsten Morgen stieg Eragon aus dem zu kleinen Bett in seinem Steinzimmer mit der niedrigen Decke und den winzigen Möbeln, wusch sich mit kaltem Wasser das Gesicht und schickte aus reiner Gewohnheit seinen Geist zu Saphira aus. Er spürte nur die Gedanken der Zwerge und Tiere in der und rund um die Festung. Schwankend beugte er sich vor und umfasste die Beckenkante, überwältigt von seiner Einsamkeit. So blieb er stehen und konnte an nichts anderes mehr denken, bis ihm schummrig wurde und vor seinen Augen rote Punkte zu tanzen begannen. Keuchend holte er Luft.
Auf dem Rückweg vom Helgrind habe ich Saphira auch schrecklich vermisst, aber da wusste ich wenigstens, dass ich sie bald wiedersehen würde. Diesmal aber führt meine Reise mich fort von ihr, und es steht in den Sternen, wann wir wieder vereint sein werden.
Er schüttelte sich, dann kleidete er sich an und durchschritt die verschlungenen Gänge der Festung. Vor den Zwergen, denen er begegnete, verbeugte er sich höflich, während sie ihn ihrerseits freudig mit »Argetlam!« begrüßten.
Er traf Orik und zwölf weitere Zwerge im Innenhof der Festung. Sie waren dabei, ihre robusten Ponys zu satteln, deren Atem weiße Dunstwölkchen in der kühlen Morgenluft bildete. Neben den kleinen, kräftigen Männern fühlte sich Eragon wie ein Riese.
Orik begrüßte ihn. »Wir haben einen Esel im Stall, falls du reiten möchtest.«
»Nein, wenn du nichts dagegen hast, gehe ich weiterhin zu Fuß.«
Orik zuckte mit den Schultern. »Wie du möchtest.«
Als sie bereit zum Aufbruch waren, kam Hvedra mit wehendem Kleid die Stufen vom Eingang zur Haupthalle der Festung herabgeeilt und reichte Orik ein mit filigraner Goldarbeit verziertes Elfenbeinhorn. »Es hat meinem Vater gehört, als er unter Grimstborith Aldhrim ritt. Ich schenke es dir, damit du mich in Farthen Dûr nicht vergisst.« Sie sagte leise ein paar Worte in der Zwergensprache, dann legte Orik seine Stirn an ihre. Danach richtete der Zwerg sich im Sattel auf, legte das Horn an die Lippen und blies hinein. Ein tiefer Ton erklang und schwoll an, bis die Luft im Innenhof zu vibrieren schien. Oben am Turm stiegen zwei schwarze Raben auf und krächzten. Der Klang des Horns machte Eragon ganz unruhig; er wollte endlich aufbrechen.
Noch einmal ruhte sein Blick auf Hvedra, dann gab Orik seinem Pony die Sporen, ritt durch das Haupttor der Festung und wandte sich nach Osten in Richtung Talschluss. Eragon und die zwölf Zwerge folgten ihm.
Während der nächsten drei Stunden folgten sie einem ausgetretenen Pfad an der Flanke des Thardûr entlang und gewannen langsam an Höhe. Die Zwerge holten aus ihren Ponys heraus, was möglich war, ohne sie zu schinden, trotzdem waren sie für Eragons Empfinden schrecklich langsam. Auch wenn es ihn frustrierte, beschwerte er sich nicht darüber. Er würde sein Tempo immer drosseln müssen, wenn er nicht gerade alleine oder in der Gesellschaft von Elfen oder Kull unterwegs war.
Fröstelnd zog er sich den Umhang enger um den Leib. Die Sonne war noch nicht über dem Beor-Gebirge aufgetaucht, daher war es unangenehm kühl, obwohl die Mittagsstunde nicht mehr fern war.
Schließlich erreichten sie ein über tausend Fuß breites Plateau aus Granit, das auf der rechten Seite von einer steil aufragenden Felswand aus natürlich entstandenen achteckigen Säulen begrenzt wurde.
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