Die Weisheit des Feuers
überlebt.
Roran blieb bei den Männern stehen, die er getötet hatte, und starrte auf die Leichname hinab. Sein Speichel schmeckte bitter und ihm wurde schlecht.
Jetzt habe ich wie viele Menschen getötet?
...
Ich weiß es nicht mehr.
Er hatte im Schlachtgetümmel auf den Brennenden Steppen aufgehört zu zählen, wie viele Gegner er erschlagen hatte. Nun hatte er schon so vielen den Tod gebracht, dass er ihre Zahl nicht mehr wusste. Das beunruhigte ihn.
Muss ich erst Heerscharen von Männern niedermetzeln, um zurückzubekommen, was das Imperium mir geraubt hat?
Der nächste Gedanke verstörte ihn noch mehr.
Und falls es mir gelingt, wie kann ich ins Palancar-Tal zurückkehren und dort in Frieden leben, wenn meine Seele mit dem Blut von Hunderten Toten befleckt ist?
Roran schloss die Augen, entspannte ganz bewusst jeden Muskel in seinem Körper und versuchte, sich zu beruhigen.
Das alles tue ich nur aus Liebe. Ich töte aus Liebe zu Katrina, zu Eragon und zu den Bewohnern Carvahalls und auch, weil ich die Sache der Varden befürworte und ich dieses unser Land so liebe. Aus Liebe bin ich bereit, durch einen Ozean aus Blut zu waten, selbst wenn es mich zerstört.
»Das war wirklich unglaublich, Hammerfaust«, sagte Ulhart. Roran öffnete die Augen. Vor ihm stand der grauhaarige Krieger mit Schneefeuers Zügel in der Hand. »Niemand war bisher so verrückt, über eine Wagenburg zu hechten und gegen fünf Gegner gleichzeitig zu kämpfen. Gute Arbeit! Aber gib auf dich acht. Normalerweise überlebt man so viel Wagemut nicht lange. Sei künftig etwas vorsichtiger, dir zuliebe!«
»Ich werd’s versuchen«, sagte Roran und ließ sich von Ulhart Schneefeuers Zügel reichen.
Während Roran sich von Carn hatte behandeln lassen, waren die unverletzt gebliebenen Varden von Wagen zu Wagen gegangen, hatten die Ladung inspiziert und Martland Bericht erstattet. Der schrieb auf, was sie gefunden hatten, damit Nasuada die Informationen studieren und daraus vielleicht Rückschlüsse auf Galbatorix’ Pläne ziehen konnte. Roran sah zu, wie die Männer die letzten beiden Wagen durchsuchten, die Weizen und stapelweise Uniformen geladen hatten. Danach schnitten die Männer den Ochsen die Kehlen durch und tränkten die Straße mit ihrem Blut. Dass die Tiere getötet wurden, störte Roran, aber er wusste, dass es wichtig war, sie dem Imperium wegzunehmen, und er hätte selbst zum Messer gegriffen, wenn man ihn dazu aufgefordert hätte. Sie hätten die Ochsen zu den Varden gebracht, aber die Tiere waren zu langsam und schwerfällig. Das galt allerdings nicht für die Pferde der Soldaten, deshalb fingen sie so viele wie möglich ein und banden sie an ihre eigenen.
Schließlich zog einer der Männer eine mit Harz getränkte Fackel aus der Satteltasche und entzündete sie mithilfe seines Feuersteins. Er ritt an dem Konvoi entlang und hielt die Flamme an die Wagen, bis alle lichterloh brannten. Dann warf er die Fackel auf die Ladefläche des letzten Fuhrwerks.
»Aufsitzen!«, rief Martland.
Rorans verletztes Bein pochte, als er sich in den Sattel zog. Er gab Schneefeuer die Sporen und ritt zu Carn, während die übrigen Männer auf ihren Pferden in einer Doppelreihe hinter Martland Aufstellung nahmen. Die Tiere schnaubten und scharrten mit den Hufen, denn das Feuer machte sie unruhig.
Martland ritt los und der Rest des Trupps folgte ihm. Zurück blieb der brennende Wagenkonvoi auf der verlassenen Straße wie ein Leuchtfeuer der Hoffnung im Reich der Finsternis.
DER STEINERNE WALD
H urra«-Rufe schallten durch die Menge. Eragon saß auf einer der hölzernen Tribünen, die die Zwerge rund um Bregans äußere Mauer aufgestellt hatten. Die Festung erhob sich auf dem abgeflachten Rücken des Berges Thardûr, mehr als eine Meile über der nebelverhangenen Talsohle. Von hier aus konnte man meilenweit in jede Richtung blicken oder bis die zerklüfteten Berge die Sicht versperrten. Wie Tronjheim und die anderen Zwergenstädte, die Eragon besucht hatte, bestand auch Bregan ausschließlich aus abgebautem Stein - in diesem Fall aus rötlichem Granit, der den Zimmern und Korridoren im Inneren Behaglichkeit und Wärme verlieh. Die Festung selbst war ein massiver, dickwandiger Bau, der sich über fünf Stockwerke zu einem offenen Glockenturm erhob, den eine tränenförmige Glaskugel krönte. Sie war doppelt so hoch wie ein Zwerg und wurde von vier Granitsäulen getragen, die sich zu einem spitzen Schlussstein zusammenfügten. Die
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