Die Weisheit des Feuers
Überlass das Urteil darüber mir. Ich möchte nur wissen, ob du mich unterstützt. Eragon, warum zögerst du?«
Er wich Oriks Blick aus und starrte auf eine knorrige Wurzel, die zu seinen Füßen aus dem Granit ragte. »Du sorgst dich um das Wohl deines Volkes und das ist gut so. Aber ich muss die Dinge in einem größeren Zusammenhang sehen. Ich muss auch an die Varden, Elfen und alle anderen denken, die sich gegen Galbatorix auflehnen. Falls... falls es sich als unwahrscheinlich erweist, dass du die Krone gewinnst, und es einen aussichtsreicheren Kandidaten gibt, der einer Allianz mit den Varden nicht verständnislos gegenübersteht, dann -«
»Kein anderer Grimstborith könnte ein verständnisvollerer Freund der Varden sein als ich!«
»Das bezweifle ich ja nicht«, sagte Eragon. »Aber falls es so käme, wie ich sage, und meine Unterstützung ein Clan-Oberhaupt auf den Thron bringen könnte, das den Varden wohlgesinnt ist, sollte ich dann nicht zum Wohle deines Volkes und zum Wohle ganz Alagaësias auf den Zwerg setzen, der die besten Erfolgschancen hat?«
Mit tödlich leiser Stimme sagte Orik: »Du hast einen Blutschwur auf das Knurlnien geleistet, Eragon. Nach unserem Gesetz bist du ein Mitglied des Dûrgrimst Ingietum, sosehr das manchen auch missfallen mag. Was Hrothgar getan hat, als er dich adoptierte, ist erstmalig in unserer Geschichte. Es lässt sich auch nicht mehr rückgängig machen, außer wenn ich dich als Grimstborith aus unserem Clan verstoße. Wenn du dich gegen mich wendest, Eragon, stellst du mich vor unserem ganzen Volk bloß, und niemand wird jemals wieder meine Führerschaft anerkennen. Mehr noch, du würdest deinen Kritikern den Beweis liefern, dass wir einem Drachenreiter nicht vertrauen können. Clan-Mitglieder verraten einander nicht an andere Clans, Eragon. So etwas tut man nicht, außer man möchte eines Nachts mit einem Messer in der Brust aufwachen.«
»Drohst du mir?«, fragte Eragon ebenso leise.
Orik fluchte und schlug erneut mit der Axt auf den Granit. »Nein! Ich würde niemals die Hand gegen dich erheben, Eragon! Du bist wie ein Bruder für mich. Du bist der einzige Drachenreiter, der nicht unter Galbatorix’ finsterem Einfluss steht, und verdammt noch mal, auf unseren gemeinsamen Reisen bist du mir zum Freund geworden. Aber dass ich dir niemals etwas antun würde, bedeutet nicht, dass die übrigen Mitglieder des Ingietum genauso nachsichtig wären. Das ist keine Drohung, sondern eine Feststellung. Du musst das verstehen, Eragon. Sollte der Clan erfahren, dass du einen anderen Kandidaten unterstützt, kann ich für nichts garantieren. Du bist unser Gast und die Gebote der Gastfreundschaft schützen dich. Doch wenn du dich gegen den Ingietum aussprichst, wird sich der Clan von dir hintergangen fühlen, und es ist bei uns nicht üblich, einen Verräter in unseren Reihen zu dulden. Begreifst du das, Eragon?«
»Was erwartest du von mir?«, schrie Eragon. Er warf die Arme hoch und stapfte vor Orik auf und ab. »Ich habe Nasuada gegenüber ebenfalls einen Schwur geleistet und gewisse Befehle von ihr erhalten.«
»Aber dem Dûrgrimst Ingietum bist du auch verpflichtet!«, brüllte Orik.
Eragon blieb stehen und starrte den Zwerg an. »Soll ich ganz Alagaësia dem Untergang weihen, nur damit du dein Ansehen bei den Clans nicht verlierst?«
»Beleidige mich nicht!«
»Dann verlang du nicht Unmögliches von mir! Ich unterstütze dich, falls deine Aussichten auf den Thron es rechtfertigen, und wenn nicht, dann nicht. Du sorgst dich um deinen Clan und um euer Volk als Ganzes, ich aber sorge mich um euch und um
ganz Alagaësia
.« Eragon ließ sich gegen einen kalten Baumstamm fallen. »Ach, was soll ich nur tun, Orik? Ich weiß doch, dass ich es mir nicht erlauben kann, dich oder deinen - ich meine
unseren
- Clan oder den Rest des Zwergentums zu verärgern.«
In sanfterem Ton sagte Orik: »Es gibt noch eine andere Möglichkeit, Eragon. Es wäre nicht einfach für dich, aber es würde dein Dilemma lösen.«
»Und welch erstaunliche Lösung soll das sein?«
Orik schob die Axt unter den Gürtel, trat zu Eragon, nahm seine Unterarme in die Hände und blickte unter den buschigen Brauen zu ihm auf. »Vertrau mir, dass ich das Richtige tun werde, Eragon Schattentöter. Sei mir gegenüber so loyal, als wärst du von Geburt an ein Mitglied des Ingietum. Wer mir untersteht, würde niemals auch nur erwägen, sich zugunsten eines anderen Clans gegen seinen eigenen Grimstborith zu
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