Die Weisheit des Feuers
Temperaturschwankungen aufgeworfen hatten, sehr gefährlich. Doch statt blau, weiß oder transparent schimmerten die Überreste des Sternsaphirs in einem zarten, von orangefarbenen Streifen durchzogenen Rosa.
»Wie geht es voran?«, erkundigte sich Eragon.
Skeg zuckte mit den Schultern und ließ die Hände wie zwei Schmetterlinge durch die Luft wedeln. »Es geht, so schnell es geht, Argetlam. Perfektion entsteht nicht durch Eile.«
»Ich habe den Eindruck, als würdet ihr gut vorankommen.«
Skeg tippte mit einem knochigen Zeigefinger gegen seine breite, flache Nase. »Arya hat die Spitze von Isidar Mithrim, die sich jetzt unten befindet, da wir ihn umgedreht haben, in große Stücke gesprengt und sie zu Boden schweben lassen. Sie kann man leicht zusammensetzen. Das untere Ende jedoch, das jetzt oben ist...« Er schüttelte trübselig den Kopf. »Die Gewalt der Explosion hat all die Bruchstücke nach unten durch die Blütenblätter der Rose geschleudert und die Verzierungen in winzige Fragmente zerschmettert. Und die Rose, Argetlam, diese Rose ist der Schlüssel zu dem Edelstein. Sie ist der filigranste und schönste Teil von Isidar Mithrim. Und ausgerechnet der ist in die meisten Stücke zerborsten. Wenn es uns nicht gelingt, sie bis auf den kleinsten Splitter zusammenzusetzen, können wir den Edelstein genauso gut unseren Goldschmieden geben, damit sie daraus Ringe für unsere Mütter schleifen.« Die Worte sprudelten aus Skeg heraus wie Wasser aus einem überströmenden Becher. Er rief in seiner Sprache einem Zwerg etwas zu, der eine Kiste durch die Kammer schleppte, und zupfte an seinem weißen Bart. »Hast du jemals die Geschichte gehört, Argetlam, wie der Isidar Mithrim zur Zeit Herrans erschaffen wurde?«
Eragon versuchte, sich an den Geschichtsunterricht in Ellesméra zu erinnern. »Ich weiß nur, dass es Dûrok war.«
»Ja«, erwiderte Skeg. »Dûrok Ornthrond - Adlerauge, wie man ihn in eurer Sprache nennt. Er hat Isidar Mithrim zwar nicht entdeckt, aber er allein hat ihn aus dem Fels geschlagen, er allein hat ihn geschliffen und er allein hat ihn poliert. Fünfundsiebzig Jahre hat er an der Sternrose gearbeitet. Der Stein hat ihn fasziniert wie nichts anderes. Er hat jede Nacht bis in die frühen Morgenstunden daran gesessen, denn die Sternrose sollte nicht nur ein Kunstwerk sein, sondern die Herzen aller berühren, die sie erblickten, und ihm einen Ehrenplatz an der Tafel der Götter einbringen. Als seine Frau ihn im zweiunddreißigsten Jahr seiner Arbeit vor die Wahl stellte, entweder die Last dieser Aufgabe mit seinen Schülern zu teilen oder sie würde seine Halle verlassen, wandte er sich wortlos ab und schliff weiter an den Konturen eines Rosenblattes, mit dem er in diesem Jahr begonnen hatte. So groß war seine Hingabe.
Dûrok arbeitete an Isidar Mithrim, bis er mit jeder Linie und jeder Kontur zufrieden war. Dann ließ er das Poliertuch fallen, trat einen Schritt von der Sternrose zurück, sagte:,Gûntera, beschütze mich, es ist vollbracht!‹, und fiel tot zu Boden.« Skeg schlug sich gegen die Brust, was ein dumpfes Dröhnen erzeugte. »Sein Herz versagte ihm den Dienst. Wofür hätte es auch weiterschlagen sollen?... Und das versuchen wir hier wiederherzustellen, Argetlam: fünfundsiebzig Jahre nie ermüdender, konzentrierter Arbeit eines der besten Künstler unseres Volks. Wenn es uns nicht gelingt, Isidar Mithrim
genau so
zusammenzusetzen, wie er war, würden wir Dûroks Leistung in den Augen all derer schmälern, die die Sternrose vorher nicht gesehen haben.« Skeg schlug sich mit der Faust auf den Schenkel, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.
Eragon beugte sich über das hüfthohe Geländer und sah zu, wie fünf Zwerge auf der anderen Seite des Edelsteins einen sechsten an Seilen hinabließen, bis er knapp über den scharfen Zacken des zerbrochenen Saphirs schwebte. Er griff in sein Wams, zog einen Splitter aus einer Ledertasche und setzte ihn mit einer winzigen Pinzette in eine schmale Lücke.
»Wenn die Krönung in drei Tagen stattfinden würde, könntet ihr Isidar Mithrim bis dahin fertigstellen?«, erkundigte er sich.
Skeg trommelte mit den Fingern eine Melodie auf das Geländer, die Eragon bekannt vorkam. »Hätte dein Drache uns nicht versprochen, ihn zu heilen, würden wir uns mit der Arbeit nicht so beeilen«, erwiderte er. »Diese Eile ist uns fremd, Argetlam. Es mag der Natur der Menschen entsprechen, wie aufgeregte Ameisen umherzuhasten, aber nicht unserer.
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