Die Weisheit des Feuers
Anhûin, die von Galbatorix und den Abtrünnigen beinahe vollständig ausgerottet worden waren. Dieser Clan hatte Eragon bei seinem Besuch in der Stadt Tarnag bereits die Blutsfeindschaft erklärt und seinen abgrundtiefen Hass auf Eragon, Saphira und alles, was mit Drachen und ihren Reitern zu tun hatte, auch bei jeder Äußerung in den Clan-Versammlungen offen zur Schau gestellt. Sie hatten sogar gegen seine Anwesenheit bei den Beratungen der Clan-Oberhäupter protestiert, obwohl das selbst nach Zwergenrecht vollkommen legal war. Am Ende hatten sie eine Abstimmung erzwungen und so die Beratungen um weitere sechs unnötige Stunden verlängert.
Eines Tages,
so sagte sich Eragon,
muss ich einen Weg finden, Frieden mit ihnen zu schließen. Oder aber ich muss zu Ende bringen, was Galbatorix begonnen hat. Ich will nicht mein ganzes Leben in Angst vor den Az Sweldn rak Anhûin verbringen.
Wie so oft in den letzten Tagen wartete er einen Moment auf Saphiras Antwort. Als sie ausblieb, fuhr ihm der mittlerweile vertraute Schmerz der Einsamkeit wie eine Lanze durchs Herz.
Es herrschte eine gewisse Unsicherheit, wie haltbar die Allianzen zwischen den Clans waren. Weder Orik noch Íorûnn, Gannel oder Nado genossen genug Unterstützung, um eine Abstimmung zu gewinnen. Daher waren sie alle darum bemüht, die Loyalität der Clans zu festigen, die ihnen bereits ihre Hilfe zugesagt hatten, während sie gleichzeitig versuchten, ihren Kontrahenten die Anhänger abspenstig zu machen. Obwohl er wusste, wie viel auf dem Spiel stand, ermüdete und frustrierte ihn das Ganze immer mehr.
Aus Oriks Erklärungen hatte er geschlossen, dass die Clan-Oberhäupter vor der Wahl eines Herrschers darüber abstimmen mussten, ob sie überhaupt dazu bereit waren, einen neuen König oder eine Königin zu wählen. Bei dieser Vorwahl mussten sich mindestens neun Stimmen dafür aussprechen. Bis jetzt jedoch hielt keines der Clan-Oberhäupter, einschließlich Orik, seine Position für gefestigt genug, um diese Abstimmung anzuberaumen und damit den Weg zur Königswahl zu beschreiten. Diese Phase war, wie Orik gesagt hatte, die heikelste des ganzen Wahlprozesses und konnte sich manchmal über einen zermürbend langen Zeitraum hinziehen.
Während Eragon über die Situation nachdachte, schlenderte er ziellos durch das unterirdische Labyrinth aus Kammern, bis er in einen trockenen, staubigen Raum mit fünf schwarzen Torbogen an der einen Seite kam. An der gegenüberliegenden Wand zeigte ein Flachrelief einen zwanzig Fuß hohen knurrenden Bären. Die Zähne des Tieres waren aus Gold und die runden Augen aus geschliffenen Rubinen.
»Wo befinden wir uns hier, Kvîstor?«, fragte er mit einem Blick auf die Wachen. Seine Stimme hallte durch den Raum. Er spürte zahlreiche Zwerge in den Stockwerken über ihm, wusste jedoch nicht, wie er hinaufkommen sollte.
Der Anführer der Wache, ein junger Zwerg von höchstens sechzig Jahren, trat vor. »Diese Kammern wurden vor Jahrtausenden von Grimstnzborith Korgan ausgegraben, als Tronjheim erbaut wurde. Seitdem haben wir sie nicht oft benutzt, außer wenn sich unser ganzes Volk in Farthen Dûr versammelt.«
Eragon nickte. »Kannst du mich zur Oberfläche führen?«
»Selbstverständlich, Argetlam.«
Nach einem zügigen Marsch von einigen Minuten erreichten sie eine breite Treppe mit flachen, für Zwerge passenden Stufen, die zu einem ebenerdigen Gang im südwestlichen Teil von Tronjheim hinaufführte. Von dort aus brachte Kvîstor Eragon zur südlichen der vier riesigen Haupthallen, die Tronjheim in allen Himmelsrichtungen durchzogen.
Es war dieselbe Halle, durch die Eragon und Saphira die Zwergenstadt vor mehreren Monaten zum ersten Mal betreten hatten. Als er sie jetzt durchschritt, um zum Mittelpunkt des Stadtberges zu gelangen, überkam ihn Wehmut. Er fühlte sich, als wäre er in der Zwischenzeit um mehrere Jahre gealtert.
In der breiten, vierstöckigen Halle wimmelte es von Zwergen. Sie alle bemerkten Eragon, davon war er überzeugt, aber längst nicht jeder nahm Notiz von ihm. Er war dankbar dafür, da es ihm die lästige Pflicht ersparte, ständig zurückgrüßen zu müssen.
Als eine Gruppe von Az Sweldn rak Anhûin die Halle durchquerte, erstarrte er. Die Zwerge blickten wie auf einen lautlosen Befehl alle zu ihm herüber. Ihre Gesichter wurden von den violetten Schleiern verborgen, die die Clan-Mitglieder in der Öffentlichkeit immer trugen. Der letzte von ihnen spuckte vor Eragon auf den Boden,
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