Die Weisheit des Feuers
inzwischen die Flucht ergriffen.
Arya kletterte hinter ihm durchs Fenster. Sie sah sich um, zeigte dann auf die Treppe am anderen Ende des Raumes und schlich hinüber, ohne dass ihre Lederstiefel auf dem Steinboden auch nur das geringste Geräusch verursacht hätten.
Als Eragon ihr folgte, nahm er unter ihnen eine eigenartige Vereinigung von Energieströmen wahr sowie das Bewusstsein von fünf Menschen, deren Gedanken ihm versperrt waren. In Erwartung eines geistigen Angriffs errichtete er einen Wall um sein Bewusstsein und konzentrierte sich darauf, ein paar Zeilen aus einem Elfengedicht zu rezitieren. Er tippte Arya auf die Schulter und flüsterte: »Spürst du das?«
Sie nickte. »Wir hätten Bloëdhgarm mitnehmen sollen.«
Gemeinsam schlichen sie möglichst leise die Stufen hinab.
Das nächste Turmzimmer war viel größer als das erste. Die Wände waren mehr als dreißig Fuß hoch, und von der Decke hing eine Laterne mit geschliffenen Glasscheiben herab, in der eine gelbe Flamme loderte. Hunderte von Ölgemälden bedeckten die Wände: Porträts bärtiger, prunkvoll gewandeter Männer und ausdrucksloser Frauen, die im Kreis einiger Kinder saßen; düstere, sturmumtoste Seelandschaften mit ertrinkenden Seeleuten und Kampfszenen, in denen Menschen Horden bizarrer Urgals abschlachteten. Eine Reihe hölzerne Fensterläden an der nördlichen Wand zeigte auf einen Balkon mit steinerner Balustrade. Vor der Wand gegenüber dem Fenster standen etliche runde, mit Schriftrollen übersäte Tische, drei Polstersessel und zwei übergroße Messingvasen mit vertrockneten Blumensträußen. Eine stämmige grauhaarige Frau in einem lavendelfarbenen Kleid saß in einem der Sessel. Sie hatte große Ähnlichkeit mit einigen der porträtierten Männer. Ihr Haupt wurde von einem mit Jade und Topas verzierten silbernen Diadem geschmückt.
Mitten im Zimmer standen mit zurückgestreiften Kapuzen die drei Magier, die Eragon zuvor in der Stadt gesehen hatte. Die beiden Männer und die Frau hatten sich im Dreieck aufgestellt und die Arme seitlich ausgestreckt, sodass sich ihre Fingerspitzen berührten. Sie wiegten sich im Einklang hin und her und murmelten dabei eine unbekannte Beschwörung in der alten Sprache. Im Zentrum des Dreiecks saß ein Mann im gleichen Gewand; schweigend und das Gesicht schmerzverzerrt.
Eragon stürzte sich auf den Geist eines der drei Männer, doch der Magier war so auf seine Aufgabe konzentriert, dass es Eragon nicht gelang, in sein Bewusstsein einzudringen und ihn so seinem Willen zu unterwerfen. Der Mann schien den Angriff nicht einmal zu bemerken. Arya musste es ebenfalls versucht haben, denn sie flüsterte: »Sie sind gut ausgebildet.«
»Weißt du, was sie da machen?«, fragte er leise.
Sie schüttelte den Kopf.
In diesem Moment schaute die Frau in dem lavendelfarbenen Kleid auf und entdeckte Eragon und Arya auf den Stufen. Zu Eragons Überraschung schrie sie nicht um Hilfe, sondern legte den Finger an die Lippen und winkte sie heran.
Eragon sah Arya verblüfft an. »Es könnte eine Falle sein.« »Höchstwahrscheinlich«, sagte sie.
»Was machen wir jetzt?«
»Ist Saphira in der Nähe?«
»Ja.«
»Dann lass uns unsere Gastgeberin begrüßen.«
Nebeneinander nahmen sie die restlichen Stufen und schlichen quer durch die Kammer, wobei sie die in ihren Singsang versunkenen Magier nicht aus den Augen ließen.
»Seid Ihr Fürstin Lorana?«, fragte Arya mit leiser Stimme, als sie vor dem Sessel stehen blieben.
Die Frau neigte den Kopf. »Das bin ich, holde Elfe.« Dann richtete sie ihren Blick auf Eragon und fragte: »Und Ihr seid der Drachenreiter, von dem wir in letzter Zeit so viel gehört haben? Ihr seid Eragon Schattentöter?«
»Der bin ich«, sagte Eragon.
Ein Ausdruck der Erleichterung erschien auf den edlen Zügen der Frau. »Ah, ich hatte gehofft, Ihr würdet kommen. Ihr müsst sie aufhalten, Schattentöter.« Sie deutete auf die Magier.
»Warum befehlt Ihr ihnen nicht, aufzuhören?«, flüsterte Eragon.
»Ich kann nicht«, sagte Lorana. »Sie gehorchen nur dem König und seinem neuen Drachenreiter. Ich habe Galbatorix Treue gelobt - ich hatte keine andere Wahl -, also kann ich gegen ihn oder seine Diener nicht die Hand erheben. Sonst hätte ich schon selbst für ihre Vernichtung gesorgt.«
»Warum?«, wollte Arya wissen. »Wovor fürchtet Ihr Euch so sehr?«
Die Haut um Loranas Augen spannte sich. »Sie wissen, dass sie die Varden allein nicht vertreiben können, und Galbatorix hat
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