Die Weisheit des Feuers
war genauso schön wie Arya, aber auf eine weniger exotische, vertrautere Weise.
Ohne zu zögern, schickte Eragon seinen Geist nach ihr aus. Er musste wissen, wer diese Frau war.
Sobald er ihr Bewusstsein berührte, wurde Eragon von einem geistigen Schlag getroffen, der seine Konzentration zerstörte. Dann hallte in seinem Kopf ein ohrenbetäubender Ausruf wider:
Eragon!
Arya?
Einen Moment lang trafen sich ihre Blicke, bevor die Menge sich wieder verdichtete und die Elfe verbarg.
Eragon eilte durch den Schankraum an ihren Tisch, schob die dicht gedrängt stehenden Leiber beiseite, die ihm den Weg versperrten. Als er aus dem Gewühl trat, sahen die Bauern ihn scheel an und einer sagte: »Was willst du, Bursche? Ganz schön frech, wie du hier in unsere Runde platzt. Verzieh dich!«
So höflich wie möglich sagte Eragon: »Meine Herren, mir scheint, die Dame möchte lieber in Ruhe gelassen werden. Ihr wollt Euch doch nicht über die Wünsche einer ehrbaren Frau hinwegsetzen, oder?«
»Ehrbare Frau?«, lachte einer der Männer. »Ehrbare Frauen reisen nicht alleine.«
»Dann lasst mich Eure Sorge zerstreuen, denn ich bin ihr Bruder und wir sind auf dem Weg nach Dras-Leona zu unserem Onkel.«
Die vier Männer wechselten unbehagliche Blicke. Drei von ihnen wichen von Arya zurück, aber der vierte baute sich vor Eragons Nase auf und schnaufte ihm ins Gesicht. »Ich bin nicht sicher, ob ich dir glauben soll
, Bursche
. Du willst uns doch bloß verscheuchen, damit du sie für dich hast.«
Er liegt gar nicht so falsch,
dachte Eragon.
Mit so leiser Stimme, dass nur der Mann ihn verstand, erklärte Eragon: »Ich versichere Euch, sie ist meine Schwester. Ich möchte keinen Ärger mit Euch. Würdet Ihr bitte gehen?«
»Nein, denn ich glaube, du bist ein Lügenbold.«
»Herr, seid vernünftig. Es besteht kein Grund, so unhöflich zu sein. Die Nacht ist jung, und es gibt jede Menge Wein und Gesang, an dem man sich ergötzen kann. Lasst uns wegen eines kleinen Missverständnisses nicht streiten. Das ist doch unter unserer Würde.«
Zu Eragons Erleichterung entspannte sich der Mann und raunte spöttisch: »Gegen einen Jüngling wie dich würde ich sowieso nicht kämpfen.« Dann wandte er sich um und ging mit seinen Freunden zum Tresen.
Den Blick auf die Menschenmenge gerichtet, setzte Eragon sich zu Arya an den Tisch. »Was tust du hier?«, fragte er, wobei er die Lippen kaum bewegte.
»Dich suchen.«
Er warf ihr einen überraschten Blick zu und sie hob eine Augenbraue. Er schaute wieder auf die Menge, gab vor zu lächeln und fragte: »Bist du allein?«
»Jetzt nicht mehr... Hast du dir für die Nacht ein Zimmer genommen?«
Er schüttelte den Kopf.
»Gut. Ich habe eins. Dort können wir reden.«
Sie standen auf und er folgte ihr zur Treppe im hinteren Teil des Schankraums. Die ausgetretenen Stufen ächzten unter ihren Schritten, während sie in den ersten Stock stiegen. Eine einzelne Kerze erhellte den holzgetäfelten Korridor. Arya führte Eragon zur letzten Tür auf der rechten Seite und zog einen eisernen Schlüssel aus dem weiten Ärmel ihres Umhangs. Sie sperrte auf, betrat das Zimmer und wartete, bis Eragon ihr gefolgt war; dann schloss sie die Tür wieder und verriegelte sie von innen.
Von einer Laterne auf der anderen Seite des Marktplatzes fiel ein schwacher orangefarbener Lichtschein durch das bleiverglaste Fenster. Eragon konnte darin die Umrisse einer Öllampe erkennen, die rechts von ihm auf einem niedrigen Tisch stand.
»Brisingr«,
flüsterte er und zündete den Docht mit einem Funken an, der ihm aus dem Finger sprang.
Trotz der brennenden Öllampe blieb es im Zimmer relativ dunkel. Der Raum war wie der Korridor getäfelt und das kastanienfarbene Holz schluckte einen Großteil des Lichts. So wirkte der Raum klein und erdrückend, als würde ein großes Gewicht die Wände zusammenpressen. Das einzige Möbelstück neben dem Tisch war ein schmales Bett mit einer dünnen Decke, auf der ein kleines Bündel mit Proviant lag.
Eragon und Arya standen sich gegenüber. Er nahm das Stirnband ab, die Elfe öffnete die Brosche, die den Umhang zusammenhielt, und legte ihn aufs Bett. Darunter trug sie ein waldgrünes Kleid. Es war das erste Mal, dass er sie in einem sah.
Es war eine seltsame Erfahrung für Eragon, dass sie die Rollen plötzlich getauscht hatten: Er sah aus wie ein Elf und sie wie ein Mensch. Die Verwandlung änderte nichts an seiner Hochachtung für sie, nur fühlte er sich jetzt in
Weitere Kostenlose Bücher