Die Weisheit des Feuers
auf den angespitzten Pflöcken.
»Spring!«, flüsterte Arya.
»Nicht ohne dich.«
»Sei nicht so...«
»Ein Wachmann!«, rief Eragon leise und deutete hinter sie. Zwischen zwei Häusern war in der Dunkelheit eine Laterne aufgetaucht. Während das Licht näher kam, schälten sich die Umrisse eines Mannes aus der Finsternis. Er hatte sein Schwert gezückt.
Lautlos wie ein Gespenst griff Arya nach dem Pfosten und zog sich Hand für Hand nach oben. Sie schien beinahe hinaufzugleiten, wie durch Magie. Als sie nahe genug war, packte Eragon ihren rechten Unterarm und zog sie das letzte Stück zu sich hinauf. Wie zwei merkwürdige Vögel hockten sie reglos auf den Palisaden, während unter ihnen der Wachmann vorbeischritt. Er schwenkte die Laterne in beide Richtungen, hielt nach Eindringlingen Ausschau.
Schau jetzt nicht hoch,
flehte Eragon.
Im nächsten Moment schob der Wachmann das Schwert in die Scheide und setzte summend seine Runde fort.
Ohne ein Wort sprangen Eragon und Arya auf der anderen Seite der Palisaden hinunter. Die Rüstung in seinem Rucksack klapperte, als er auf der grasbewachsenen Böschung landete und sich abrollte, um die Wucht des Aufpralls abzufangen. Dann sprang er auf und eilte geduckt durch die graue Landschaft davon, dicht gefolgt von Arya. Sie hielten sich in Senken und ausgetrockneten Wasserläufen, während sie an den Höfen vorbeirannten, die rings um das Dorf verstreut waren. Ein paarmal kamen aufgeschreckte Hunde herausgestürmt, die ihr Revier verteidigen wollten. Eragon versuchte, sie mit seinem Geist zu beruhigen, aber wie er bald merkte, war es am sinnvollsten, einfach weiterzurennen. So glaubten die Kläffer, den ungebetenen Besuch mit gefletschten Zähnen und Gebell verscheucht zu haben, und kehrten schwanzwedelnd zu den Scheunen und Häusern zurück, von wo sie weiter über ihr kleines Reich wachten. Ihre Genügsamkeit amüsierte Eragon.
Als fünf Meilen hinter Eastcroft klar wurde, dass ihnen tatsächlich niemand folgte, blieben Eragon und Arya neben einem verkohlten Baumstumpf stehen. Kniend schaufelte Arya mehrere Handvoll Erde aus dem Boden.
»Adurna rïsa«
, sagte sie. Mit einem leisen Plätschern stieg aus dem umgebenden Erdreich Wasser auf und füllte das von Arya gegrabene Loch. Als es randvoll war, sagte die Elfe:
»Letta.«
Das Sprudeln hörte auf.
Sie beschwor die Traumsicht herauf und auf der Wasseroberfläche erschien Nasuadas Antlitz. Arya begrüßte sie.
»Lehnsherrin«, sagte Eragon und verneigte sich.
»Drachenreiter«, entgegnete die Anführerin der Varden. Sie wirkte erschöpft, hatte eingefallene Wangen, als wäre sie lange krank gewesen. Eine Locke fiel ihr ins Gesicht, und als Nasuada die widerspenstige Strähne zurückstrich, bemerkte Eragon den dicken Verband an ihrem Unterarm. »Du bist in Sicherheit, Gokukara sei Dank. Wir haben uns große Sorgen gemacht.«
»Es tut mir leid, wenn ich dich beunruhigt habe, aber ich hatte gute Gründe für mein Verhalten.«
»Die erklärst du mir am besten, wenn du zurück bist.«
»Wie du wünschst«, sagte er. »Woher stammen deine Verletzungen? Wurdest du angegriffen? Warum hast du dich nicht von einem Mitglied der Du Vrangr Gata heilen lassen?«
»Ich habe den Magiern befohlen, mich in Ruhe zu lassen. Auch
darüber
reden wir, wenn du zurück bist.« Eragon nickte verwirrt und schluckte seine vielen Fragen hinunter. Zu Arya sagte Nasuada: »Ich bin beeindruckt. Du hast ihn gefunden. Ich war mir nicht sicher, ob es dir gelingen würde.«
»Das Glück war mir hold.«
»Mag sein. Aber ich vermute, dass deine Fähigkeiten dabei eine ebenso große Rolle gespielt haben. Wann seid ihr zurück?«
»In zwei, drei Tagen, falls nichts dazwischenkommt.«
»Gut. Ich erwarte euch. Ich wünsche, dass ihr ab jetzt täglich vor der Mittagsstunde und vor Sonnenuntergang Verbindung mit mir aufnehmt. Sollte ich nichts von euch hören, gehe ich davon aus, dass ihr in Gefangenschaft geraten seid. Dann schicke ich Saphira und einen Rettungstrupp los.«
»Wir werden nicht immer einen Ort finden, der abgelegen genug ist, um ungestört Magie wirken zu können.«
»Dann findet eine Lösung. Ich muss wissen, wo ihr beiden steckt und dass alles in Ordnung ist.«
Arya überlegte einen Moment. »Ich werde tun, was du verlangst, aber nur, solange es Eragon nicht in Gefahr bringt.«
»Abgemacht.«
Eragon nutzte die anschließende Gesprächspause und fragte: »Nasuada, ist Saphira in der Nähe? Ich würde gerne mit ihr
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