Die Weisheit des Feuers
auch. Du bist ebenfalls nicht freiwillig hier, oder?«
»Stimmt...« Er lockerte die Schultern, erschöpft vom langen Tagesmarsch. Doch er schob die Müdigkeit beiseite und deutete auf ihr Kleid. »Hast du Hemd und Hose endgültig abgelegt?«
Ein leises Lächeln umspielte Aryas Lippen. »Nein, nur für die Dauer dieser Reise. Ich habe jahrzehntelang unter den Varden gelebt, und trotzdem vergesse ich immer wieder, wie gerne es die Menschen sehen, dass Männer und Frauen sich unterschiedlich kleiden. Ich konnte mich nie dazu überwinden, eure Sitten und Gebräuche anzunehmen, auch wenn ich viele Verhaltensweisen meines Volkes abgelegt habe. Wer hätte mir etwas vorschreiben sollen? Meine Mutter? Die lebte am anderen Ende Alagaësias.« Sie schwieg, als hätte sie schon zu viel gesagt. »Jedenfalls hatte ich«, fuhr sie fort, »eine unangenehme Begegnung mit zwei Ochsenhirten, kurz nachdem ich die Varden verlassen hatte, und danach habe ich dieses Kleid gestohlen.«
»Es steht dir gut.«
»Als Zauberkundiger hat man den Vorteil, dass man niemals auf einen Schneider warten muss.«
Eragon lachte, dann fragte er. »Und jetzt?«
»Jetzt ruhen wir uns aus. Morgen verschwinden wir in aller Frühe aus Eastcroft und dann sehen wir weiter.«
In der Nacht lag Eragon auf dem Boden. Er hätte in jedem Fall darauf bestanden, dass Arya das Bett bekam, aber diese Übereinkunft hatte nichts mit Rücksichtnahme oder Höflichkeit zu tun, sondern war eine reine Vorsichtsmaßname. Falls irgendjemand ins Zimmer platzte, könnte es seltsam erscheinen, eine auf dem Boden liegende Frau vorzufinden.
Während die Stunden dahinkrochen, starrte Eragon zu den Dachbalken hinauf und verfolgte die Risse im Holz, unfähig, seine rasenden Gedanken zu beruhigen. Er versuchte alles, um sich zu entspannen, aber seine Gedanken kehrten ständig zu Arya zurück, zu seiner Überraschung, ihr so unerwartet zu begegnen, zu ihrer Reaktion, als er ihr von der Sache mit Sloan erzählte, und vor allem zu seinen Gefühlen für die Elfe. Er war sich nicht ganz sicher, welcher Natur sie waren. Er sehnte sich nach Aryas Nähe, aber seit sie ihn abgewiesen hatte, mischten sich in seine Zuneigung zu ihr Schmerz und Wut - und auch Frustration. Obwohl er sich weigerte zu akzeptieren, dass sein Werben aussichtslos war, hatte er keine Ahnung, wie er weiter vorgehen sollte.
In seiner Brust begann es zu schmerzen, während er Aryas leisen Atemzügen lauschte. Es quälte ihn, ihr so nahe zu sein, sie jedoch nicht berühren zu können. Er knetete den Stoff seines Wamses und wünschte, etwas tun zu können, statt sich in sein trauriges Schicksal ergeben zu müssen.
Bis weit in die Nacht rang er mit seinen begehrlichen Gefühlen, bis er schließlich der Erschöpfung erlag und in die wartende Umarmung seiner Wachträume glitt. Darin wanderte er einige Stunden unruhig umher, bis die Sterne allmählich verblassten und es für ihn und Arya Zeit wurde, Eastcroft zu verlassen.
Sie öffneten das Fenster und sprangen die zwölf Fuß bis zur Erde; ein kleiner Satz für jemanden mit elfischen Fähigkeiten. Im Fallen hielt Arya den Rock ihres Kleides gepackt, damit er sich nicht aufbauschte. Sie landeten wenige Handbreit voneinander entfernt und rannten zwischen den Häusern in Richtung der Palisaden.
»Die Leute werden sich fragen, wo wir abgeblieben sind«, überlegte Eragon im Laufen. »Vielleicht hätten wir warten und wie normale Reisende weiterziehen sollen.«
»Es wäre riskanter, länger zu bleiben. Ich habe für das Zimmer bezahlt. Das ist das Einzige, was die Wirtin interessiert, nicht ob wir in aller Frühe hinausgeschlichen sind.« Sie trennten sich kurz, um einen klapprigen Holzkarren zu umrunden, dann fügte Arya hinzu: »Am wichtigsten ist es, in Bewegung zu bleiben. Wenn wir länger an einem Ort verweilen, findet uns der König.«
Als sie den Palisadenzaun erreicht hatten, schritt Arya daran entlang, bis sie einen Pfosten entdeckte, der etwas vorstand. Sie legte die Hände darum und zog kräftig, prüfte, ob das Holz ihr Gewicht trug. Der Pfosten wackelte etwas, aber er hielt.
»Du zuerst«, sagte Arya.
»Bitte, nach dir.«
Mit einem ungeduldigen Seufzer deutete sie auf ihren Aufzug. »Ein Kleid ist luftiger als eine Hose, Eragon.«
Er wurde rot, als er verstand, worauf sie hinauswollte. Er packte den Pfosten in Höhe seines Kopfes und begann, an der Palisade hinaufzuklettern, wobei er sich mit Knien und Füßen abstützte. Oben angekommen, balancierte er
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