Die Weisheit des Feuers
Bloëdhgarm hin, schloss die Augen und untersuchte unter angestrengtem Stirnrunzeln das Bewusstsein des Elfs. Nasuada biss sich auf die Lippen. Als Kind hatte ihr ein einbeiniger Mann namens Hargrove beigebracht, wie man sich vor Gedankenlesern schützt und die stechenden Lanzen eines mentalen Angriffs blockiert und ablenkt. Sie beherrschte beides hervorragend. Und obwohl sie es nie geschafft hatte, selbst Kontakt zu den Gedanken eines anderen herzustellen, war sie doch gründlich mit dem Verfahren vertraut. Deshalb konnte sie sich vorstellen, wie schwierig und heikel Garvens Aufgabe war; eine Herausforderung, die durch das fremde Wesen der Elfen nicht gerade leichter wurde.
Angela beugte sich zu ihr und flüsterte: »Ihr hättet mir das überlassen sollen. Das wäre sicherer gewesen.«
»Vielleicht«, sagte Nasuada. Obwohl die Heilerin ihr und den Varden schon oft geholfen hatte, fühlte sie sich immer noch unwohl dabei, sich bei offiziellen Anlässen auf sie zu verlassen.
Garven war noch einige Minuten lang beschäftigt, dann schlug er die Augen auf und atmete mit einem Stoßseufzer aus. Sein Gesicht und Nacken waren fleckig vor Anstrengung und seine Pupillen erweitert, als wäre es Nacht. Bloëdhgarm hingegen schien völlig unberührt. Sein Fell war glatt, die Atmung gleichmäßig und um seine Mundwinkel spielte ein spöttisches Lächeln.
»Nun?«, fragte Nasuada.
Es schien eine ganze Weile zu dauern, bis Garven ihre Worte verstanden hatte, dann sagte der stämmige Hauptmann mit der Hakennase: »Er ist kein Mensch, Herrin. Daran besteht für mich kein Zweifel. Kein Zweifel, welcher Art auch immer.«
Froh und zugleich beunruhigt, denn seine Antwort schien irgendwie aus weiter Ferne gekommen zu sein, sagte Nasuada: »Sehr gut. Weitermachen.« Garven brauchte jetzt immer weniger Zeit für jeden einzelnen Elf, für den allerletzten genügten ihm wenige Sekunden. Nasuada behielt ihn scharf im Auge und sah, wie seine Finger weiß und blutleer wurden, die Haut an seinen Schläfen einsank wie die Trommelfelle eines Frosches und seine Bewegungen schließlich so träge wurden wie die eines Schwimmers tief unter Wasser.
Als er fertig war, bezog Garven wieder Posten neben Nasuada. Er war jetzt ein anderer Mensch. Seine wilde Entschlossenheit und Härte waren der Verträumtheit eines Schlafwandlers gewichen, und als er sie auf ihre Frage, ob alles in Ordnung sei, nachdenklich ansah und in vollkommen teilnahmslosem Ton antwortete, hatte Nasuada das Gefühl, dass sein Geist irgendwo in weiter Ferne auf den sonnenbeschienenen Lichtungen der geheimnisvollen Elfenwälder umherwanderte. Sie hoffte, dass er sich bald erholen würde. Wenn nicht, würde sie Eragon oder Angela, vielleicht auch alle beide, bitten, sich um Garven zu kümmern. Bis dahin, beschloss sie, würde er nicht mehr aktiv bei den Nachtfalken dienen. Jörmundur sollte ihm etwas Einfaches zu tun geben, damit sie sich nicht vorwerfen musste, ihn noch weiter zu quälen. Dann konnte er die Visionen wenigstens genießen, die ihm sein Kontakt mit den Elfen beschert hatte.
Erbittert über diesen Verlust und wütend auf sich selbst, die Elfen, Galbatorix und das Imperium, derentwegen solch ein Opfer nötig war, fiel es ihr schwer, höflich und zuvorkommend zu bleiben. »Ihr hättet gut daran getan, Bloëdhgarm, uns bei Eurer Warnung darauf hinzuweisen, dass auch jene, die es schaffen, in ihre Körper zurückzukehren, nicht unbeschadet davonkommen.«
»Mir geht es gut, Herrin«, beteuerte Garven, aber seine Stimme war so schwach und leise, dass ihn kaum jemand hörte und Nasuadas Empörung nur noch wuchs.
Bloëdhgarms Nackenfell sträubte sich. »Wenn ich mich vorhin nicht klar genug ausgedrückt habe, entschuldige ich mich. Aber macht uns keine Vorwürfe für das, was geschehen ist. Wir können nichts für unsere Natur. Und macht auch Euch selbst keine Vorwürfe, denn wir leben in einer Zeit des Misstrauens. Es wäre verantwortungslos gewesen, uns unbehelligt passieren zu lassen. Es ist bedauerlich, dass dieses historische Treffen zwischen uns von einem so unerfreulichen Ereignis überschattet wird, aber zumindest könnt Ihr jetzt sicher sein, dass wir sind, was wir zu sein scheinen: Elfen aus Du Weldenvarden.«
Eine frische Moschuswolke zog an Nasuada vorbei, und trotz ihrer Verbitterung bekam sie weiche Knie und musste plötzlich an mit Seide ausgekleidete Frauengemächer denken, an Pokale voll Kirschwein und die wehmütigen Zwergenlieder, die sie so oft durch
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