Die Weisheit des Feuers
Hälfte der Patrouille an ihnen vorüber war.
Sie machen sich nicht die Mühe, uns auszufragen,
dachte er.
Doch seine Freude hielt nicht lange an. Kurz darauf schallte es aus der Staubwolke: »Kompaniiie halt!« Es folgte ein Chor von Kommandos wie
Brrr!, Steh!, Ruhig!
und andere, während die fünfzehn Männer ihre Pferde dazu brachten, einen Kreis um Eragon und Arya zu bilden. Bevor die Soldaten mit dem Manöver fertig waren und die Luft klarer wurde, tastete Eragon am Boden nach einem großen Kieselstein und richtete sich dann wieder auf.
»Bleib ruhig!«, zischte Arya.
Während er darauf wartete, dass die Soldaten ihre Absichten kundtun würden, bemühte sich Eragon, seinen rasenden Herzschlag niederzukämpfen, indem er sich die Geschichte ins Gedächtnis rief, die sie sich überlegt hatten, um ihre Anwesenheit so nah an der Grenze zu Surda zu erklären. Seine Bemühungen brachten jedoch nichts. Trotz seiner Stärke, seiner Ausbildung und des Wissens um seine Siege und trotz eines halben Dutzends Schutzzauber war er überzeugt, jetzt sterben zu müssen. Seine Kehle war wie zugeschnürt, sein Magen drehte sich ihm um und die Knie wurden weich.
Nun macht schon!,
dachte er. Er wollte irgendetwas zerreißen, als könnte ein Akt der Zerstörung den zunehmenden Druck in ihm abbauen. Aber dieser Drang machte ihn erst recht nervös, denn er wagte es nicht, sich zu rühren. Das Einzige, was ihn davon abhielt, die Nerven zu verlieren, war Aryas Gegenwart. Denn lieber hätte er sich eine Hand abgehackt, als zu riskieren, dass sie ihn für einen Feigling hielt. Und obwohl sie selbst eine große Kämpferin war, hatte er den Wunsch, sie zu verteidigen.
Die Stimme, die den Befehl zum Anhalten erteilt hatte, erklang erneut: »Ich will eure Gesichter sehen!« Als Eragon den Kopf hob, sah er vor sich einen Mann auf einem rotbraunen Schlachtross sitzen, der die Hände um den Sattelknauf gelegt hatte. Auf seiner Oberlippe spross ein gewaltiger gelockter Schnurrbart, der von den Mundwinkeln auf beiden Seiten noch gut neun Zoll abstand, was einen krassen Gegensatz zu den glatten Haaren bildete, die ihm auf die Schultern fielen. Eragon fragte sich, wie das haarige Kunstwerk überhaupt halten konnte, zumal es stumpf und glanzlos und offensichtlich nicht mit warmem Bienenwachs getränkt worden war.
Die anderen Soldaten hielten ihre Speere auf Eragon und Arya gerichtet. Die Männer waren so verdreckt, dass man die Flammen, mit denen ihre Wämser bestickt waren, gar nicht mehr erkennen konnte.
»Also«, sagte der Mann und sein Schnurrbart wackelte wie wild auf und ab. »Wer seid ihr? Wo wollt ihr hin? Und wie bestreitet ihr euren Lebensunterhalt im Land des Königs?« Dann machte er jedoch eine wegwerfende Handbewegung. »Ach was, spart euch die Antwort. Sie zählt sowieso nicht. Nichts zählt heutzutage mehr. Die Welt geht unter, und wir verschwenden unsere Zeit damit, dumme Bauern auszufragen. Pah! Abergläubisches Pack, zieht von einem Ort zum andern, frisst uns das Essen weg und vermehrt sich wie die Karnickel. Bei uns in Urû’baen prügeln wir solche wie euch windelweich, wenn wir sie dabei erwischen, wie sie ohne Genehmigung durch die Gegend laufen, und wer seinen Herrn bestiehlt, hängt. Ist doch sowieso alles gelogen, was ihr mir erzählen wollt. Immer dasselbe... Was habt ihr denn in eurem Bündel da, hä? Ja, ja, Proviant und Decken, aber vielleicht auch ein Paar goldene Kerzenleuchter, hä? Silber aus geheimen Truhen? Briefe für die Varden? Wie? Habt ihr die Sprache verloren? Na, das werden wir gleich haben. Langward, sieh doch mal nach, was für Schätze du aus dem Rucksack dort bergen kannst.«
Eragon stolperte vorwärts, als ihm einer der Soldaten das Heft seines Speers in den Rücken stieß. Er hatte seine Rüstung in Lumpen eingewickelt, damit die Einzelteile nicht aneinanderschlugen. Die Lumpen waren jedoch zu dünn, um die Wucht dieses Stoßes abzufangen, und es klirrte metallisch.
»Oho!«, rief der Mann mit dem Schnurrbart.
Der Soldat packte Eragon von hinten, löste die Schnüre des Rucksacks und zog das Kettenhemd heraus. »Seht mal, Hauptmann!«
Der Bärtige grinste erfreut. »Eine Rüstung! Und nicht die schlechteste, wie mir scheint. Du steckst ja
wirklich
voller Überraschungen. Willst wohl zu den Varden, was? Verrat und Aufruhr anzetteln, wie?« Sein Gesichtsausdruck wurde säuerlich. »Oder bist du etwa einer von denen, die uns ehrliche Soldaten in Verruf bringen? Dann bist du aber ein
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