Die Weisheit des friedvollen Kriegers
Präsenz, die größer und liebevoller war als alles, was ich je kennengelernt hatte. Sie transzendierte alle irdischen Probleme und brachte alles wieder ins Lot, genau wie die Umarmung einer Mutter.
Diese Erfahrung schien so offensichtlich und ewig präsent zu sein, dass ich mich später fragte, warum ich mir ihrer nicht ständig bewusst war. Genau wie in dem Sprichwort »Es gibt nur zweierlei: Gott und nicht aufpassen. « Ob wir es nun Gott, Realität, Schönheit oder Inspiration nennen: Ich hatte nicht aufgepasst, weil ich vollkommen im alltäglichen unterschwelligen Gemurmel meiner Problemchen und Verpflichtungen verfangen war.
Spirituelle Präsenz umgibt und umfängt uns immer, in diesem Moment, aber auch in jedem anderen. Im Wetterbericht wird es kaum je heißen: »Die Chance, dass es regnet, beträgt zwanzig Prozent, die Wahrscheinlichkeit, dass es zum Eintreffen von Geist kommt, liegt bei dreißig Prozent.«
In Wahrheit mangelt es uns nie an göttlicher Unterstützung und Stärkung. Wir werden nie im Stich gelassen. Wir müssen bloß aufmerksam genug sein, den Blick nach oben und in die Ferne zu richten. Genau darum geht es letztlich bei jeder besseren Religion und spirituellen Praxis. Die ganzen Übungen und Rituale, das Chanten, Singen und Beten sind einfach nur Wege, unsere Aufmerksamkeit auf die ewige Präsenz zu lenken, die ich an jenem ruhigen Abend in einem Moment der Gnade empfand.
Wenn der Tod ruft
»Socrates, bist du nicht unglücklich? Ein bisschen wenigstens? «
Er legte den Schraubenschlüssel weg.
»Ach, das erinnert mich an eine Geschichte. Ich habe sie vor langer Zeit einmal gehört, über eine Mutter, die vom Schmerz über den Tod ihres Kindes überwältigt war.
›Ich halte es nicht aus. Dieser Schmerz!‹, sagte die Frau zu ihrer Schwester.
›Schwester, hast du um deinen Sohn getrauert, bevor er geboren war?‹
›Nein, natürlich nicht‹, sagte die unglückliche Frau.
›Also, dann brauchst du auch jetzt nicht um ihn zu trauern. Er ist nur dorthin zurückgekehrt, wo sein Ursprung liegt, wo er zu Hause war, bevor er zur Welt kam.‹«
»Socrates, ist diese Geschichte ein Trost für dich?«
»Hm, es ist eine gute Geschichte. Vielleicht erkennst du es mit der Zeit«, erwiderte er, und seine Augen strahlten.
»Ich glaube dich zu kennen, Socrates, aber ich hätte nicht gedacht, dass du so herzlos sein kannst.«
»Es gibt keinen Grund, unglücklich zu sein.«
»Aber, Socrates, er ist fort.«
Soc lachte leise. »Vielleicht ist er fort, vielleicht nicht. Vielleicht war er nie hier.« Sein unbeschwertes Lachen erschreckte mich.
»Ich möchte dich verstehen, aber ich kann nicht. Wie kann man so gleichgültig sein, wenn ein Freund stirbt? Wirst du genauso empfinden, wenn ich einmal sterben muss?«
»Natürlich«, sagte er. »Dan, es gibt Dinge, die du heute noch nicht verstehst. Nur eins will ich dir sagen: Der Tod ist ein Übergang, eine Umwandlung, eine Transformation (…) vielleicht etwas einschneidender als die Pubertät. Aber er ist kein Anlass zur Traurigkeit. Er ist nur eine der vielen Verwandlungen
unseres Körpers. Kommt der Tod, dann kommt er eben. Ein Krieger sucht den Tod nicht, aber er flieht ihn auch nicht.«
Sein Gesicht wurde ernst. »Der Tod an sich ist nicht traurig. Das einzig Traurige ist, dass die meisten Menschen nie richtig gelebt haben.« Tränen stiegen Socrates in die Augen bei diesen Worten.
Genau wie Mystiker, Mönche und Heilige, aber auch Menschen, die klinisch tot waren und ins Leben zurückgekehrt sind, hatte auch Socrates keine Angst mehr vor jenem unausweichlichen Ereignis, an das die meisten von uns am liebsten gar nicht denken.
Jeder Anfang zieht unweigerlich ein Ende nach sich. Das heißt, vielleicht nicht direkt ein Ende, eher eine weitere Drehung des Lebensrades. Im Herbst lockern sich die Blätter von den Zweigen, um im Frühjahr durch neue ersetzt zu werden. Das ist der Lauf der Natur, der Gang des Universums. Die abgefallenen Blätter werden zu Kompost, der die Erde nährt und neues Wachstum hervorbringt. Vom Standpunkt des Blattes aus betrachtet, ist das der Tod, aus der Perspektive des Baumes und der Erde eine hochwillkommene Entwicklung.
Jeder von uns hat ein Leben. Vielleicht auch mehrere; da wir uns an die aber in der Regel nicht erinnern, ist es wahrscheinlich das Beste, so zu leben, als gäbe es uns nur einmal. Bei der Geburt ist den meisten von uns kalt, und wir haben keinerlei Orientierung. Angesichts des Todes
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