Die Weisheit des friedvollen Kriegers
urkomisch, vielleicht sogar ein bisschen verrückt oder absurd. Das ist dann gleichsam, als würden wir uns mit einem Mal daran erinnern, dass wir im Grunde nur Schauspieler sind, die eine Szene aus dem Drama unseres Lebens aufführen. Wenn wir uns als Charakter auf einer Bühne sehen und aus unserem engen Blickfeld heraustreten, rückt sich die Perspektive wieder zurecht.
Genau das meinte Socrates mit der »alchemistischen Transformation«, von der er sprach. Der Akt der Selbstbeobachtung – das Umschalten von konventioneller Ernsthaftigkeit auf göttlichen Humor – ist eine der bedeutendsten spirituellen Fähigkeiten, die wir uns überhaupt aneignen können. Die Rückeroberung des Humors erfordert lediglich die Bereitschaft und nötige Bewusstheit, aus sich herauszutreten, den Kopf umzuwenden und seine Dramen, Mätzchen und Posen aus einer gewissen Distanz zu betrachten.
Realismus und Idealismus
Zwanzig Meter von ihm entfernt hörte ich seinen qualvollen Schrei, und ich sah, wie er langsam in die Knie brach und weinte. Mit einem Wutschrei sprang er wieder auf und entspannte sich. Dann entdeckte er mich.
»Dan! Wie schön, dass wir uns wiedersehen.« Sein Gesicht war gelassen und heiter.
Der Feuerwehrhauptmann kam, um mitzuteilen, der Brand sei wahrscheinlich nebenan in der Chemischen Reinigung ausgebrochen. »Danke«, sagte Joseph.
»Oh, Joseph, es tut mir so leid für dich.« Aber dann ließ es mir keine Ruhe. »Joseph, ich habe dich vorhin gesehen. Du warst sehr unglücklich.«
»Ja.« Er lächelte. »Ich war unglücklich. Und ich hab’s wirklich rausgelassen.«
Unwillkürlich musste ich an Socs Worte denken. Lass los, lass es fließen …
Im Laufe der Jahre habe ich von vielen Lesern gehört, dass Josephs blitzschnelle Erholung von einem so großen Schlag auch sie vor ein großes Rätsel gestellt hatte. Nun, es hilft ja nichts, ich muss es zugeben: Auch das war Übertreibung. Um deutlich zu machen, worauf ich hinauswollte, habe ich diese »emotionale Heilung« idealisiert und besonders dramatisch geschildert. Aber weder Socrates noch ich hatten je vor, die Wirklichkeit so darzustellen, wie man sie durch eine rosarote Brille sieht.
Wer sich mit spirituellen oder religiösen Traditionen beschäftigt, trifft häufig auf solche idealistische Vorstellungen, zum Beispiel auch die Idee, man könne lernen, unentwegt oder jedenfalls die meiste Zeit über positiv
zu denken. Wenn man Bücher darüber liest, selbst aber die Erfahrung macht, dass es nicht so richtig klappen will, lässt man sich leicht zu dem Glauben verleiten, dass sich der Erfolg eingestellt hätte, wenn wir uns nur mehr angestrengt und alle Übungen besser gemacht hätten. Die Autoren dieser Bücher hält man natürlich für wahre Meister in der Kunst des positiven Denkens.
In Wirklichkeit entstehen sowohl positive als auch negative Gedanken und Gefühle ganz natürlich: erfreuliche Träumereien, traurige Bilder, Ängste, Zweifel und so weiter. Und sie stellen auch keinerlei Problem dar, solange wir ihnen keine Macht geben und sie nicht mit der Wirklichkeit verwechseln.
Es gibt noch viele andere idealistische Vorstellungen: so zum Beispiel die Idee, man müsse jungen Männern und Frauen auf dem Höhepunkt ihrer hormonellen Tätigkeit predigen, sich vor der Ehe sexueller Kontakte zu enthalten. Oder Priester sollten ihr ganzes Leben im Zölibat verbringen. Von Ausnahmen abgesehen richtet man mit solchen idealistischen Vorstellungen bei Menschen aus Fleisch und Blut rein gar nichts aus.
Jetzt zu dem Zitat von oben. In diesem Abschnitt beschreibe ich, wie ich Joseph in tiefem Schmerz über das Abbrennen seines Cafés antreffe. Im nächsten Moment ist er schon wieder ganz entspannt, lächelt und begrüßt mich, als sei nicht das Geringste geschehen. Joseph hatte gelernt, los- und alles fließen zu lassen. Das ist sehr zu empfehlen, und nur aus diesem Grund habe ich die Geschichte erzählt. Wir können uns aber gern darauf einigen, dass der zeitliche Rahmen, in dem sie sich abspielte, idealistisch verzerrt war.
»Normale« Menschen brauchen in der Regel etwas
länger, um »loslassen« zu können. Wenn mich zum Beispiel jemand fragt, was man denn gegen Liebeskummer tun könne, kann ich auch nur antworten: Das tut weh, und es dauert seine Zeit. So ist das Leben.
Ideale sind von essenzieller Bedeutung, denn sie repräsentieren all das, wonach wir streben. Die Wirklichkeit dagegen zeigt an, wer und wo genau wir im Moment sind. Beziehen wir
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